Czernin

Ernst-Peter Brezovszky
Rudolf Burger
Peter Pelinka

Ethik global

Illusion oder Realität. Mit einer Einleitung von Benita Ferrero-Waldner

Die Folgeerscheinungen einer globalisierten Welt haben in den vergangenen Jahren den Ruf nach einer glaubhaften und praktisch umsetzbaren globalen Ethik laut werden lassen, die politische Entscheidungsprozesse weltweit beschleunigt und Rahmen- bedingungen schafft, die die Abkopplung einer immer ärmer werdende Peripherie von einem immer mächtigeren Zentrum verhindert.

Das österreichische Außenministerium veranstaltete in der Wiener Hofburg eine internationale Konferenz zum Thema „Globalität und globale Ethik". Ein Ergebnis dieser national wie international viel beachteten Konferenz ist das vorliegende Buch, das einer breiten Öffentlichkeit die Chance gibt, jene Fragen mit zu diskutieren, die jetzt schon von ebenso großer Bedeutung sind wie jene der globalisierten Wirtschaft: Verlangt EINE Welt nicht auch EINE Moral? Ist aber EINE Ethik in einer Welt des kulturellen Pluralismus wünschenswert? Steht am Ende der Globalisierung der Verlust ehtischer Vielfalt?

 

Leseprobe:

Wege zur offenen Gesellschaft. Von George Soros. Nach der Krise im Kosovo besteht keinerlei Zweifel, daß die globale Ethik eine Realität ist. Die NATO intervenierte im Namen der globalen Ethik. Milosevic’s Politik gegenüber dem Kosovo konnte nicht toleriert werden. Es gab hier keinerlei nationale Interessen im Spiel, nur grundlegende Werte. Aber das Ergebnis der Intervention unterschied sich nachhaltig davon, was eigentlich beabsichtigt wurde. Der Horror der Bombadierung ließ Fragen entstehen, betreffend die globale Ethik wie sie derzeit ausgeübt wird. Wir müssen uns diesen Fragen stellen, wenn wir möchten, daß die globale Ethik vorherrschen kann, wie ich das möchte. Ich glaube an etwas, das ich offene Gesellschaft nenne. Die offene Gesellschaft ist im Grunde genommen ein breiter gestecktes Konzept der Demokratie universeller Bedeutung. Das Konzept der offenen Gesellschaft basiert auf der Erkenntnis, daß niemand Zugang hat zur letztendlichen Wahrheit. Die Perfektion ist nicht erreichbar. Daher müssen wir uns zufrieden geben mit dem, was wir am nächsten, am leichtesten noch erreichen können, dem nächstbesten: eine Gesellschaft, die stets für Verbesserungen offen ist. Eine offene Gesellschaft ermöglicht den Menschen unterschiedliche Meinungen zu haben, Ansichten, Identitäten und Interessen zu äußern und gemeinsam in Frieden zu leben. Eine offene Gesellschaft ist grenzüberschreitenden. Sie ermöglicht Interventionen, Einmischung in die internen Angelegenheiten souveräner Staaten, denn Menschen die in einem oppressiven Regime leben können sich oft nicht verteidigen gegen Oppression ohne Intervention von außen. Aber die Intervention muß beschränkt sein darauf, die Menschen zu unterstützen, die in einem Land leben um ihren legitimen Interessen und Zielsetzungen nachgehen zu können, und nicht eine spezielle Ideologie aufzuerlegen oder einen Staat den Interessen eines anderen zu unterwerfen. Dies sind die Prinzipien, die ich durch mein Netzwerk der offenen Gesellschaftsstiftungen durchsetzten möchte. Getragen von diesen Prinzipien hege ich keinerlei Zweifel darin, daß Milosevic die Rechte der Kosovo-Albaner beschnitten hat. Auch habe ich keinerlei Zweifel daran, daß die Situation geradezu nach einer Intervention von außen rief. Der Fall für eine Intervention ist klarer im Kosovo als in den meisten anderen Situationen ethnischer Konflikte, denn Milosevic entzog unilateral die Autonomie den Einwohnern des Kosovo, die sie bereits genossen hatten. Er brach auch ein internationales Abkommen, das er im Oktober vergangenen Jahres unterzeichnete. Meine Zweifel betreffen die Möglichkeiten und Wege, in denen internationaler Druck ausgeübt wurde. Mich erfüllte das Spektakel der Bombadierung der NATO-Flugzeuge mit tiefem Unbehagen und ich befürchtete, daß es genau das Gegenteil dessen erreichen würde, was ursprünglich gewollt wurde. Es beschleunigte geradezu die ethnische Säuberung, die es eigentlich unterbinden wollte und machte es schwieriger für die Menschen in Serbien dem Milosevic-Regime entgegenzutreten. Das führte zu einer Destabilisierung der benachbarten Staaten Montenegro, Mazedonien und Albanien, ganz zu schweigen von den weiter gelagerten internationalen Komplikationen mit China beispielsweise. Ich war ein glühender Verfechter einer harten Linie gegenüber Milosevic und ich fühlte mich geradezu persönlich verantwortlich für die Folgen. Ich bin erfreut, daß sich Milosevic zurückzog, bevor die NATO zerschlagen wurde und ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus. Erleichterung, aber keinesfalls Zustimmung. Wir konnten einen großen Schritt vorwärtskommen, was die Errichtung des Prinzips der Intervention in interne Angelegenheiten eines souveränen Staates betrifft, um die Menschen zu schützen. Aber wir können uns nicht zufrieden geben mit den Ergebnissen. Die Intervention der NATO im Kosovo hat zu einer starken Kluft geführt. Selbst ich, der wirklich von diesem Prinzip getragen wurde, habe allmählich Zweifel. Ich wurde geradezu gezwungen, mich selbst zu fragen, ob es möglich ist, ob es angemessen ist, in die internen Angelegenheiten eines Staates einzugreifen im Namen einiger, allgemeiner Prinzipien, wie Menschenrechte oder offener Gesellschaft. Ich wollte mir diese Frage eigentlich niemals stellen und ich möchte keinesfalls nein akzeptieren. Es wäre das das Ende meiner Bestrebungen einer offenen Gesellschaft. Gäbe es kein Eingreifen von Außen, so könnten oppressive Regimes unsägliche Greueltaten begehen. Interne Konflikte könnten zu einer Ausuferung in internationale Feindlichkeiten werden. In unserer zunehmend wechselseitig abhängigen Welt gibt es bestimmte Verhaltensmuster einiger souveräner Staaten - Aggression, Terrorismus, ethnische Säuberung - die von der internationalen Gemeinschaft keinesfalls toleriert werden dürfen. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, daß unser derzeitiger Ansatz unsere derzeitige Intervention nicht funktioniert. Im Falle Jugoslawiens sind wir unterschiedlich eingeschritten. In Bosnien versuchten wir es mit den Vereinten Nationen und es funktionierte nicht. Das war der Grund, warum wir es im Kosovo ohne die Vereinten Nationen versuchten und auch das funktionierte nicht wirklich. Weiters versuchten wir es durch die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen, aber auch das zeigte negative Folgen. Die Sanktionen von zwielichtigen Geschäftemachern gebrochen werden, die mit der Hilfe des herrschenden Regimes operierten. Dies führte zur Entstehung einer mafiaähnlichen Unternehmerskaste, die mit den Regierungsbehörden unter einer Decke steckte nicht nur in Jugoslawien sondern auch in den Nachbarstaaten. Kurz gesagt, es funktionierte überhaupt nichts. Und ähnliche Erfahrungen gelten für Afrika. Wir müssen eine bessere Möglichkeit finden. Das erfordert einen gründlichen Umdenkungs- und Umorganisationsprozess der Art unserer internationalen Beziehungen, was wir vielleicht als die globale Sicherheitsarchitektur bezeichnen könnten. Es ist vielleicht noch zu früh, eine solche Diskussion vom Zaun zu lassen. Die Emotionen laufen gerade sehr hoch, einschließlich meine eigenen Emotionen. Die Meinungen gehen scharf auseinander was richtig und falsch der Eingriffe anbelangt. Und jede Seite möchte die eigene Position wahren um hier die Meinung zu vertreten. Aber ich glaube nicht, daß es zu früh ist. Ich glaube, daß ich nicht der einzige bin, der von den Konsequenzen geradezu erschüttern wurde. Ich glaube, es gibt die allgemeine Erkenntnis, daß etwas bestürzend falsch gelaufen ist und wir etwas dagegen tun müssen. Eine Krise ist vonnöten um eine Veränderung in der globalen Sicherheitsarchitektur voran treiben zu können. Der Völkerbund wurde nach dem ersten Weltkrieg gegründet und die Vereinten Nationen folgten nach dem zweiten Weltkrieg. Wenn wir vom Kosovo-Konflikt entsprechend aufgerüttelt wurden, können wir vielleicht einige Veränderungen in der globalen Sicherheitsarchitektur bewirken, die einen dritten Weltkrieg verhindern können. Wenn wir jetzt einfach nur die Siegeserklärung durchführen, dann glaube ich, daß uns die Kosovo-Krise unserem Ziel ein wenig näher gebracht haben wird. Wir müssen damit beginnen, daß wir anerkennen, daß die Sicherheit nicht nur davon abhängt, was zwischen den Staaten passiert, sondern auch davon, was innerhalb der Staaten passiert. Ein unterdrückendes Regime kann eine Gefahr nicht nur für die eigenen Menschen darstellen, sondern auch für die Nachbarvölker und für die Welt als Ganzes. Das betroffene Land muß nicht so stark sein, wie es das Nazi-Deutschland war, es kann so schwach sein wie Irak, Jugoslawien oder sogar Ruanda. Die Prinzipien, die das Verhalten der Staaten leiten sollten gegenüber den eigenen Staatsbürgern, waren entsprechend aufgestellt. Das sind die Prinzipien der Demokratie oder in meinen Worten einer offenen Gesellschaft.