Czernin

Paul Weß

Welche soziale Identität braucht Europa?

Überträgt man den Einleitungssatz des „Böckenförde-Paradoxes“ auf die Europäische Union, lebt die freiheitliche säkularisierte Europäische Union von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann.

Gelingt in Zeiten eines postmodernen Pluralismus schon in den einzelnen Staaten die Regulation „von innen her, aus der moralischen Substanz der Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft“ (Ernst Wolfgang Böckenförde) immer weniger, um wieviel schwieriger muss sich das in einer neu entstehenden Staatengemeinschaft gestalten … ein Problem, das sich weder mit Hilfe einer Verfassung noch durch Berufung auf vermeintlich allgemein akzeptierte, weitgehend jedoch ungeklärte „europäische Werte“ lösen lässt. Vielmehr braucht es, so der Philosoph und Pastoraltheologe Paul Weß, angemessene soziale Haltungen der Einzelnen und - durch deren Übereinstimmung - der Gesellschaft, um den inneren Zusammenhalt einer Gemeinschaft freier Menschen und ihren gerechten Umgang mit Fremden zu ermöglichen. Für die politischen Instanzen Europas wäre es demnach notwendig, einen Meinungsbildungsprozess anzuregen und die verschiedenen Grundformen sozialer Identität zur Diskussion zu stellen. Dabei sollte die Klärung der „Grenze zwischen säkularen und religiösen Gründen … als eine kooperative Aufgabe verstanden werden“ (Jürgen Habermas). Findet Europa auf diesem Weg seine grundlegende geistige Einheit - seine „Seele“ -, kann es auch zum Frieden in der Welt beitragen.