Czernin

Brigitte Schwaiger

Wie kommt das Salz ins Meer

30 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ist Brigitte Schwaigers Debütroman ein nach wie vor aktuelles Plädoyer wider die provinzielle Bürgerlichkeit. Das Buch zählt zu den unbestrittenen Klassikern der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, dessen Thematiken an Aktualität nichts eingebüßt haben.

Die provinzielle Bürgerlichkeit ihres Elternhauses prägt das Leben der Ich- Erzählerin. Die frühe Heirat mit Rolf bringt keinen Ausweg sondern führt zu einer weiteren Einengung ihrer persönlichen Freiheit. Es folgen eine Affäre, Abtreibung, Depression und Scheidung. Die scheinbare Banalität der Themen bekommt durch den Scharfblick der Autorin etwas Exemplarisches. Es entwickelt sich eine Sozialkritik ohne erhobenen Zeigefinger, ein literarisches Meisterstück ohne prätentiöse Verbrämungen. Ein Buch zum Entdecken österreichischer Literatur und zum Wiederentdecken einer großen Autorin.

 

Leseprobe:

Gutbürgerlich, vor dem Spiegel im Schlafzimmer mei­ner Eltern, gutbürgerlich, das ist das Wichtigste. Groß­mutter sagt es mit Nachdruck. Die einfache Formel, in der alles aufgeht, Trost und Beruhigung, wenn sie es ausspricht: gutbürgerlich. Ein Reißverschluss klemmt. Es ist heiß, man müsste ein Fenster öffnen, die ver­brauchte Luft. Mutter zwängt sich ins Kleid. Der Stoff hat sich im Reißverschluss verfangen. Immer dieser Fet­zen, sagt Vater. Das ist kein Fetzen, sagt Großmutter, das ist ein guter Stoff. Sie reibt den Saum zwischen den Fingern. Wieso immer, fragt Mutter. Sie hat dieses Kleid erst einmal getragen, bei Großvaters Begräbnis. Es ist elegant, sagt Großmutter. Vater wird ungeduldig. Seit einer Stunde ist er fertig, war gestern beim Friseur, um sich den Nacken ausrasieren zu lassen. Schwarzer Anzug, weißes Stecktuch, grauer Hut. Kann ich so gehen, fragt Großmutter. Ja, geh nur, geh, wer sieht dich denn, auf dich schaut doch keiner, du bist alt, natürlich kannst du so gehen, außerdem lässt du dir ohnehin nichts sagen. Die Pelzmütze hast du wieder viel zu tief im Gesicht. Schaust aus wie eine russische Bäuerin.