Czernin

Christian Futscher

Pfeil im Auge

Venedig, Herbst 2006, überall hängen Plakate, die eine Ausstellung von Andrea Mantegna in Padua bewerben. Auf dem Plakat: groß ein Bildausschnitt, der einen Mann zeigt, dem ein Pfeil im Auge steckt. Dieses Bild geht dem Ich-Erzähler, einem Autor, der unter massiven Schlafstörungen leidet, nicht mehr aus dem Kopf. Was hat es mit dem Bild auf sich, wer ist der Mann mit dem Pfeil im Auge?

Der Autor summt in Suppen, streift durch Venedigs Gegenwart und Vergangenheit, wobei ihn Eros und Tod massiv beschäftigen (gebildete Prostituierte, grausame Hinrichtungen), zählt die Bücher einer Bibliothek (2231), blödelt hemmungslos mit einem Freund, der ihn ein paar Tage besucht, quatscht fremde Frauen an, erzählt seine Lieblingsfilme, träumt von einem großartigen Auftritt bei der Biennale 2008, erinnert sich an frühere Venedig-Aufenthalte (er hat schlimme Erfahrungen mit der Polizei gemacht, aber auch seine Frau dort kennengelernt), er liest begeistert russische Märchen („Schön ist’s, auf der Welt zu sein, tuki-tuiki-tiki“), macht allerlei abwegige Entdeckungen, gibt seiner Liebe zu Frau und Kind, die ihn ebenfalls besuchen, überschwänglichen Ausdruck, trifft die großartige Autorin Sabine Gruber, erzählt auf ungewöhnliche und erfrischende Weise von seinem Leben, in dem Fehler eine Hauptrolle spielen …

 

Leseprobe:

22. Okt. 06
Am 20. Oktober des Jahres 2006 sah ich in Venedig ein Gemälde von einem gewissen Mantegna plakatiert (Werbung für eine Ausstellung in Padua), das einen Mann zeigt, in dessen Auge ein Pfeil steckt, und beschloss, fortan täglich ein Bild zu malen oder zu zeichnen, das einen Menschen darstellt, dem ein Pfeil im Auge steckt.
Die Sammlung der ersten 365 Bilder werde ich meinem Freund Peter Briem schenken, in dessen Begleitung ich mich befand, als ich zum ersten Mal das Bild mit dem Mann sah, in dessen Auge ein Pfeil steckt. Das war am 19. Oktober … Das widerspricht dem, was ich oben geschrieben habe, aber ich bin mir jetzt sicher, dass wir das Bild schon am 19. Oktober gesehen haben, am 20. fiel dann mein Entschluss, täglich einen Mann oder eine Frau zu malen oder zu zeichnen, dem oder der ein Pfeil im Auge steckt. Am 20. habe ich auch das erste Bild fabriziert, es handelt sich dabei um ein Porträt meines Freundes Peter Briem, dem ein Pfeil im Auge steckt. Ich habe beschlossen, jedes einzelne Blatt zu signieren und immer dazuzuschreiben, wann und wo es entstanden ist. Auf der Rückseite vom ersten Blatt steht:
„FR, 20.10. Venedig, S. Polo“, weiters: „Porträt-Versuch von mir von P.B.“