Czernin

Andy Kaltenbrunner

Beruf ohne (Aus-)Bildung

Anleitungen zum Journalismus

Journalisten sehen sich meist als Berufene, unklar ist aber, was ihre Profession definiert. In Österreich gibt es keine adequate Journalistenausbildung. Universitäten fühlen sich für eine fachliche Schulung der Medienmacher unzuständig, einschlägige Fachhochschulen fehlen und Verlage beschränken sich bei der Nachwuchsrekrutierung meist auf das Angebot kurzer Redaktions-Schnupperlehren für beliebig ausgewählte Interessenten.

Dass gezielte Qualifikationsmaßnahmen für die Medienbranche Sinn machen, bewies zwischen 1995 und 1999 der „redaktionslehrgang magazinjournalismus“ des trend/profil-Verlages in Wien, den 40 Jungjournalisten absolvierten, von denen die meisten inzwischen in österreichischen und deutschen Medien erfolgreich tätig sind. Dutzende Lehrbeauftragte von Universitäten und erfahrene Journalisten aus Österreich und Deutschland unterstützten dieses Ausbildungsprojekt. Im Buch beschreiben am Lehrgang beteiligte Theoretiker, Praktiker und Absolventen ihre Erfahrungen mit dem Einstieg in Medienberufe und dem Selbstverständnis in einem Beruf ohne (Aus-)Bildung.

 

Leseprobe:

Florian Klenk LERN WAS G‘SCHEITES Über die Sinnhaftigkeit von seriösen Studienabschlüssen für Journalisten „Mach eine gescheite Geschichte, die Stories liegen auf der Strasse!” Gut. Aber auf welcher? Stationen einer ganz normalen Journalistenausbildung. Prolog: Auch das kann Ausbildung sein: Vor der letzten Nationalratswahl stellte ich mich mit einer Kollegin stundenlang um ein Interview mit Jörg Haider an. Haiders Pressesprecher vertröstete und vertröstete uns. Ein „junges Journalistenteam” müsse seinen Chef zuerst interviewen. Das „junge Team” sah aus wie die Insassen von Taxi Orange, hatte seine Fragen für das Interview auf einem Zettel zusammengefasst und diesen dem Pressesprecher vor dem Gespräch überreicht. Für die Antworten wurde, wie bei einem amtlichen Formular, ein wenig Platz ausgespart. Haiders Sprecher prüfte die Fragen und nickte zustimmend. Gemeinsam mit dem Politiker füllte das Team den Fragebogen aus. Danach bat eine Jungjournalistin aus dem feschen Team Haider um ein persönliches Autogramm. „Dein Jörg” kritzelte er auf sein Foto. Wenige Tage später erschien das Interview in einer Beilage der Kronen Zeitung. Das „junge Team”, so war da zu lesen, befand sich bei der Kronen Zeitung in Ausbildung und bekam „seine erste Chance”. So kann Journalistenausbildung auch sein. Schneller Erfolg und ein Millionenpublikum am ersten Tag. Sogar die sonst so grimmigen Pressesprecher von Jörg Haider umschwärmen einen. Meine erste Chance sah ein wenig anders aus: Ich durfte eine brandheisse Studie über verdorbenes Obst in Wiens Supermärkten zusammenfassen. Für den Papierkorb. Ich hab sie wieder aus dem Müll gezogen, jetzt liegt sie vor mir. Dazu später. Es ist schlimm: Es gibt in Österreich keine Verlegerpersönlichkeiten, die ihr gutes Geld in Journalistenschulen stecken. Es gibt keine Henri-Nannen-Schule und keine renommierte „School of Journalism”, die ihre Studenten für Street-Reports auf die Straße hetzt, ihnen Grundsätze von Politik, Wirtschaft und Recht eintrichtert. Ja, ein paar überlaufene Seminare werden angeboten, eine Akademie im kleinen Krems und Kurse auf Volkshochschulen. Doch wer kommt da schon hin? Zu wenig Platz, zu wenig Geld. Das Ergebnis: Es gibt sehr schlechte Journalisten. Aber auch ein paar sehr gute. Wie überall auf der ganzen Welt. An den Journalistenschulen alleine kann es nicht liegen. Wie wird man Journalist? Durch das Diplom einer Schule? Durch Neugierde? Lästigkeit? Den Drang, sich mit klaren Worten fernab jeder Fachsprache mitzuteilen? Durch nächtelanges Rauchen und Zeitunglesen? Vielleicht. Zuerst muss man sich jedoch gegen Eltern und Tanten durchsetzen. „Am besten, du wirst gar nicht Journalist!”, riet so mancher in der Familie und schlug die Hände zusammen. Sie bedrängten mich, Jus zu studieren (was nicht so fern lag, weil es mich tatsächlich interessierte). Die Familie hatte zwar zur Kenntnis genommen, dass ich Schülerzeitungen geklebt und darin sehr freche Berichte über den Herrn Direktor und den autoritären Turnlehrer verfasst hatte, dass ich Zeitungen geklaut und Artikel ausgeschnitten hatte – doch dass ich tatsächlich als Journalist durchs Leben gehen sollte? Journalisten waren in meinem Heimatort jene Gestalten, die bei Großmutters runden Geburtstagen auftauchten, ihr ins Gesicht blitzten und dann jene netten Berichte verfassten, die heute noch in ihrem Küchentisch schlummern. Im Normalfall aber, so war die geläufige Annahme, seien sie finstere Schreiberlinge, gekaufte Berichterstatter, kranke Gehirne, die in der Bevölkerung in der Beliebtheitsskala ganz unten liegen, weil sie immer und jeden kritisieren müssen. So deutlich sagte es die Familie nicht. Sie argumentierte subversiver: „Die besten Journalisten sind Juristen!” redeten sie mir ein. (Und hielten ihre Hoffnung aufrecht, mich irgendwann in einer noblen Wirtschaftskanzlei arbeiten zu sehen). Wir arrangierten uns. Ich studierte Jus und bewarb mich im Sommer um ein „Ferialvolontariat". „Kommen S‘ spät, lesen S‘ die Zeitung und gehen Sie früh!”, hatte der Redakteur des Chronik-Ressorts gebrummt. Immerhin: Ich durfte bei Pressekonferenzen von Stadträten kostenlos Kaffee im Landtmann trinken und konnte – exklusiv! – über die Studie über verdorbenes Obst schreiben. „Giftiges Gemüse”, betitelte ich meinen ersten Report. „Heben Sie sich’s auf, in ein paar Jahren werden Sie lachen”, hatte der Redakteur gescherzt. Er hat Recht behalten. Im Zimmer nebenan lauschten schnurrbärtige Polizeireporter dem Polizeifunk. Sie hatten gute Freunde im Sicherheitsbüro und bei der Polizeigewerkschaft, mit denen sie Tennisspielen und Bier trinken gingen. Für ein Foto des Mörders gab es ein Foto eines besonders heldenhaften Polizisten. So ging‘s dahin. Ich war bald überzeugt: Journalismus ist kein Beruf. Ich wollte Wirtschaftsanwalt werden, mit genagelten Schuhen in einer vornehmen Sozietät klappern. Vorher wurde ich noch ins Zimmer der Gerichtsreporter versetzt. Das waren ruhige, bärtige Männer, die ständig rauchten und Fotos besaßen, auf denen sie mit Udo Proksch zu sehen waren. Außerdem konnten sie die Polizei- und Chronikreporter nicht wirklich leiden. „Alle mit der Polizei verhabert”, murmelten sie in ihre Bärte und boten mir einen Schreibtisch an. Die Gerichtsreporter schickten mich zu Prozessen zur Beobachtung. Gerichtsalltag: Eine Künstlertruppe wurde von religiösen Fanatikern verfolgt, ein Mann hatte eine Prostituierte verprügelt, ein anderer sein Kind geschändet. 50 Zeilen durfte ich darüber schreiben, je 350 Schilling gab es dafür. Meine erste Lektion in Journalistenausbildung war absolviert. Nur keine Tageszeitungschronik! Nur nicht den Polizeifunk abhören müssen! Da wollte ich schon lieber ins Juridicum einziehen und mit den bärtigen Männern in Kontakt bleiben. Das Jusstudium war zwar mühsam, doch ich konnte plötzlich jene versteckten Paragrafen zitieren, die einen Fall zu einer Story machten. Die Gerichtsreporter nahmen meine Artikel, förderten mich, wo sie konnten, schickten mich zu brisanten Prozessen, erklärten mir Hintergründe. Geld war damit nicht ernsthaft zu verdienen. Die Tageszeitung zahlte sieben Schilling pro Zeile. Bei meinem Tempo kein üppiger Stundenlohn. Sollte ich doch Wirtschaftsanwalt werden? Dann geschah das Verblüffende: Ein Studienfreund schrieb im angesehenen „Spectrum” der Presse und gewann einen großen Journalistenpreis. Er hatte beim Büffeln herausgefunden, dass der Besitz von Kinderpornos in Österreich nicht strafbar ist, ein Mikrofon in die Hand genommen und in monatelanger Recherche jene Menschen aufgespürt, die mit Kinderpornos handelten. Das Gesetz wurde geändert. Der Freund durfte im TV mit angesehenen Politikern diskutieren und wurde ein bisschen berühmt. Ohne Jusstudium wäre es ihm nie gelungen. Der Mann machte Mut. Journalismus funktionierte offensichtlich auch vor dem Hintergrund der trögen Juristerei. Man musste nur die Sprache verstehen, sie ins Deutsche übersetzen und öffentlich machen. „Mach‘ eine gescheite Geschichte und verkauf sie!”, hatte mein Freund geraten. Gut, aber an wen? Und worüber? Der Mann lehrte mich Kreativität und drückte mir den „Rasenden Reporter” von Egon Erwin Kisch in die Hand: „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts exotischer als unsere Umwelt, nichts phantasievoller als die Sachlichkeit”, stand dort. Die Geschichten liegen also auf der Straße. Die Frage ist nur: auf welcher? In der Liechtensteinstraße wurde ich fündig. Dort war eine Flüchtlings- Hilfsorganisation untergebracht, bei der ich als Rechtsberater werken konnte. Da büffelten langhaarige und aufgeweckte Jusstudenten Fremdenrecht, um sich im Namen von Flüchtlingen mit der Fremdenpolizei zu duellieren. Unsere Klienten: Frauen, die wegen ihrer Kopftücher keine Visa bekamen. Türken, die ihr Sexualleben in Formularen ausbreiten mussten, weil die Behörden immer nur strafbare „Scheinehen” vermuteten. Und Afrikaner, die von der Polizei verprügelt und anschließend schuldig gesprochen wurden. Warum nicht gerade darüber schreiben? Es gab ein Blatt, dass für die Beschreibung solcher Alltagsrassismen Platz hatte. Den Falter, eine Wiener Stadtzeitung, die selbstbewusster, frecher auftrat. Ich hatte im Falter gerade ein Interview mit Wolfgang Ambros gelesen, das am Rande des Abbruchs stand: Ambros ging an die Decke, weil die Redakteure der Ikone des Austropop „platte Metaphern” vorhielten. Das war ihm zu viel. Für Jörg Haider hatten die Frechen beim Falter sogar ein „Bilderverbot“ erdacht. Die beim Falter kritisierten sogar die großen Tageszeitungen und ihre bedenklichen wirtschaftlichen Verflechtungen. Die Journalisten trugen keine Schnurrbärte, belauschten keinen Polizeifunk und wollten nichts über vergiftetes Obst wissen. Dort wollte ich hin. Doch wie konnte ich sie von mir überzeugen? Ein paar Mal rief ich an. Ein paar Mal sendete ich Texte ein. Vergeblich. Dann stellte ich mich als Jurist vor, redete ihnen fest ein, dass das Blatt endlich einen Justizredakteur bräuchte und prahlte mit erstaunlichem Insiderwissen: Immerhin hatte ich inzwischen die bedeutende Position eines Gerichtspraktikanten am Bezirksgericht Josefstadt errungen, durfte Akten schleppen und mit Richtern zu Mittag essen. „Wer die vierte Gewalt ausüben will, muss die drei anderen studiert haben”, protzte ich einmal. Das, so glaubte ich, schien sie irgendwie zu überzeugen. Als ich während meines Gerichtsjahres eine neue Gesetzesstelle ausgrub, die theoretisch das Rauchen von Joints und den Ladendiebstahl gestattete, war ich dabei. Die vom Falter gaben mir für die Joint-Story die erste Titelseite, später eine wöchentliche Kolumne, und irgendwann viertausend Schilling pro Monat. Das Wichtigste aber war: Die Familie abonnierte den Falter. „Lern noch ein bissl was Theoretisches über Journalismus”, sagte der Vater. Er hatte angebissen und sich endlich vom Bild des Sohnes in feinen Anzügen hinter dem Schreibtisch einer Sozietät verabschiedet. Der redaktionslehrgang magazinjournalismus von profil und trend wurde von vielen Praktikern ("wasbrauchmades”) zuerst belächelt. Doch er versprach mir „Schreibwerkstätten”, akademischen Unterricht und Redaktionspraxis beim profil. Ich wurde in den Lehrgang aufgenommen. Texte wurden in den folgenden Monaten von Schriftstellern und lang gedienten Kolumnisten besprochen, in der Luft zerrissen und mit Rotstift redigiert. Es traten Menschen mit Designerbrillen auf, die Texte „Bleiwüsten” nannten, etwas von „Layout”, „Bild-Text-Ebenen” und „fotografischer Umsetzung” erzählten. Reporter hetzten uns für Reportagen auf die Straße. Es gab Professoren, die über „Kommunikationsstrategien”, „Ethik im Journalismus” und die wirtschaftlichen Verflechtungen der österreichischen Medienlandschaft dozierten. Nachdenken und Streiten waren nicht nur erlaubt, sondern sogar gefordert. An Wochenenden wurden Interviewstrategien geübt und auf Video festgehalten. Am Abend wurde an jenen Beiträgen gefeilt, die am nächsten Morgen vom Lehrgangs- Kollektiv gnadenlos zerlegt wurden. Nach dem Kurs gab’s ein richtiges Diplom, ein Buffet mit berühmten Politikern und für viele Absolventen konkrete Jobangebote. Der Falter bezahlte mir plötzlich fürs Schreiben ein richtiges Monatsgehalt. Mit Urlaubsgeld, Weihnachtsbonus und einer Netzkarte für die Straßenbahn. Es ging bergauf. Meine Geschichten lagen tatsächlich auf der Straße und in Gerichtssälen oder Polizeiwachzimmern. Dort gab es Gutachter, die Afrikaner vermaßen, Staatsanwälte, die Nazis lobten, und Polizisten, die unschuldige Menschen ohne Grund einsperrten. Sie illustrierten den manchmal skandalösen Umgang des Staates mit seinen Bürgern. Ich beschrieb ihn. Nach zwei Wochen kam die erste Klage von der Polizei. Ich hatte ihre Schubhaftzellen besucht, wurde freundlich herumgeführt und hatte das Gefängnis anschließend als „verlaust” bezeichnet. Kurz darauf folgte die nächste Klage. Die Geschichte über einen Afrikaner, der von zwei Polizisten zusammengeschlagen wurde, brachte nicht nur lange Prozesse (das Opfer hat gewonnen), sondern auch Sprechverbot mit der Polizei. Die Fälle kamen nicht selten von den langhaarigen Freunden aus Flüchtlingsorganisationen. Manche Hinweise auch von den Richtern, mit denen ich zu Mittag essen durfte. Die zwei coolen, bärtigen Gerichtsreporter blieben Freunde, die noch heute mit wertvoller Hintergrundinformation aushelfen. Und die wenigen kritischen Professoren auf der Uni verleihen den Stories mit ihren Kommentaren oft das nötige Gewicht der Seriosität. Journalismus klappt auch ohne Polizeifunk. Sogar viel besser. Auf die genagelten Schuhe kann ich verzichten. Epilog. Nachdem Haider und das junge Team mit dem Ausfüllen des Fragebogens fertig waren, kamen wir an die Reihe. Im Hinterzimmer eines Vorstadtcafés wurde ein eher langweiliges Interview geführt. Doch Haider verplapperte sich, verglich Hitler mit Churchill, den bei seiner Abschiebung verstorbenen Asylanten Marcus Omofuma mit einem Mörder und erzählte, geheime Informationen aus dem Innenministerium erhalten zu haben. Als Haiders Büro den redigierten Interview-Text zur Autorisierung übermitttelt bekam, verweigerte sein Pressesprecher den Abdruck des Gesprächs mit der Begründung, die Fragen seien mit „pathologischer Aggressivität” gestellt worden. Es störte ihn wohl, dass wir irgendwann auch journalistisches Fragen gelernt hatten. Jörg Haider ist von jungen Redakteuren anderes gewöhnt. Das muss sich ändern.