Czernin

Peter Pilz

Das Kartell

In der Branche war es nie ein Geheimnis: Wo die öffentliche Hand Straßen, Eisenbahnlinien, Kraftwerke, Schulen, Flugplätze und Kanäle bauen läßt, sammeln sich die Manager in geheimen Runden, um Aufträge zu verteilen und Preise hochzutreiben.

Tag für Tag wird betrogen und geschmiert - und nichts passiert. Politik und Justiz machen dem Kartell die Mauer. Nur manchmal, wenn einzelne Staatsanwälte oder Richter außer Kontrolle geraten, wird es kritisch - bis der Riß im System wieder abgemauert ist. Das Kartell funktioniert wie ein Netz. Weit über die Firmen hinaus überzieht es feinmaschig große Teile des österreichischen Systems. Tausende Mitwisser und Mittäter sorgen dafür, daß das Netz hält. Peter Pilz hat vor eineinhalb Jahren seine Auseinandersetzung mit dem Kartell begonnen, jetzt legt er seinen Bericht über das System vor: über die Methoden der organisierten Baukriminalität über Kuvertwirtschaft und Korruption über die Hintermänner in der Politik.

 

Leseprobe:

EINLEITUNG. Der Oberste Gerichtshof hat den Beschluß gefaßt, mir den Mund zu verbieten. Die Obersten Richter haben sich auf die Seite der Baufirma Teerag Asdag gestellt. Ich darf nicht mehr behaupten, die Baufirma Teerag Asdag sei Teil eines geheimen und illegalen Baukartells sie habe an Preisabsprachen teilgenommen und seit das Wiener Kontrollamt meine Feststellungen bestätigt hat, darf ich aus dem Bericht des Amtes nicht mehr zitieren. Ich bin der einzige Abgeordnete, dem das verboten ist. Eine Baufirma der Stadt Wien hat auf Aufforderung des Wiener Bürgermeisters vor Gericht durchgesetzt, daß ein Wiener Gemeinderat aus dem Bericht seines Kontrollamtes nicht mehr zitieren darf. Das Argument des Höchstgerichts lautet: Der Ruf von Teerag Asdag ist noch nicht völlig und überall zerstört. Auch meine bloße Wiederholung der Kritik des Kontrollamts könnte weitere Personen beeinflussen. „Nur wenn feststünde, daß ein solcher Einfluß auszuschließen ist, wäre eine Gefährdung der Klägerin tatsächlich weggefallen. Dies könnte aber nur dann angenommen werden, wenn die Tatsache der Auftragssperre und die Prüfung des Kontrollamts allen denkmöglichen Kunden über die Medien bereits zur Kenntnis gebracht worden wäre und eine allgemein negative Ansicht darüber bestünde, daß die Vorwürfe des Beklagten stimmen.“ Also: Die Firma Teerag Asdag ist von der Stadt Wien für Aufträge gesperrt worden, weil sie an geheimen Preisabsprachen teilgenommen hat. Und: Ich darf genau das nicht sagen. Der OGH hat mit seiner Erkenntnis Weichen neu gestellt. In Hinkunft wird man nur noch das kritisch äußern dürfen, was ohnehin schon alle wissen und wovon ohnehin bereits alle überzeugt sind. Wenn sich auch nur ein Mensch findet, der noch nicht von der gerade geäußerten Kritik überzeugt ist, muß sie per einstweiliger Verfügung verboten werden. Nur wer das sagt, was alle denken, ist vor Verfügung sicher. Damit hat der OGH in seiner Sorge um das Wohlbefinden einer Baufirma aus der Meinungsfreiheit eine Wohlmeinungsfreiheit gemacht. Der OGH hat das Vorverfahren beendet. Damit kann die Hauptverhandlung im 100 Millionen- Prozeß beginnen. Wir werden Beweise vorlegen, Zeugen laden und versuchen, den Streit vor Gericht zu gewinnen. Am Beginn der Verhandlung ist mir nur eine Klarstellung wichtig: Ich habe keinen privaten Streit mit Teerag Asdag. Ich will dem Unternehmen weder schaden noch nützen. Die beiden Vorstände der Firma sind mir um vieles fremder als die Arbeiter, die das ganze persönliche Risiko schiefgegangener Kartellpraktiken tragen. Mit geht es um die Klärung zweier Fragen: Duldet die Politik weiterhin, daß das öffentliche Vergabewesen in Österreich von Kartellen und Absprachen beherrscht wird ? Und: Darf ein Unternehmen seine wirtschaftliche Macht mißbrauchen, um Kritik mundtot zu machen ? Wer mehr Geld hat, muß nicht mehr Recht bekommen. Am Ende des Prozesses werden wir sehen, ob das noch gilt. Überall, wo es öffentliche Aufträge gibt, versuchen Firmen, sich Vorteile zu verschaffen. So lange einzelne Firmen geheime Absprachen treffen und ihre Auftraggeber betrügen, ist das ein Fall für Gerichte, Kontrollamt und Rechnungshof. Wenn Beamte und Politiker geholfen haben, sind dafür Untersuchungsausschüsse zuständig. Im Fall „Teerag Asdag“ und „Baukartell“ geht es um mehr. Das Kartell rund um die Gemeindefirma existiert dort, wo Politik und Wirtschaft am dichtesten miteinander verfilzt sind. Von Wien aus beherrscht ein Roter Block aus Banken, Versicherungen, Baufirmen, Genossenschaften und Medienbeteiligungen die sozialdemokratische Hälfte der Republik. Der zweite, schwarze Teil hat sich gegenüber um Raiffeisen gruppiert. Im Zwielicht des Kartells sind die beiden Grundfarben der Republik noch immer mit freiem Auge gut zu sehen. Stempelmarken sind abgeschafft, Staatsbetriebe privatisiert worden - das Parteibuch als Zutrittsgenehmigung in eine der beiden Staatshälften hat alle Modernisierungen überstanden. Das geheime Baukartell war illegal, wirtschaftlich bedenklich, architektonisch jämmerlich und kriminell. Nur eines war es nie: geheim. Alle aus Politik, Unternehmen und Banken, die nur etwas mit dem öffentlichen Baugeschehen zu tun hatten, wußten oder ahnten, daß hier ein fein abgestimmtes Werk wie geschmiert lief. Warum hätten sie etwas dagegen unternehmen sollen ? Teils profitierten sie davon. Und teils lebten sie selbst im Kartell. In ihren Grundstrukturen ähnelt die österreichische Politik nach 1945 einem Kartell. Eine von niemandem gewählte und damit von niemanden kontrollierbare Schattenregierung namens Sozialpartnerschaft regulierte die Wirtschaft und teilte die Republik zwischen den beiden „Lagern“, wie sie sich selbst nannten, auf. Der Proporz verteilte nicht nur die öffentlichen Ämter und Gelder, er galt auch für die Lagerwirtschaft, die sich rund um Banken, Genossenschaften und staatliche Betriebe bildete. Jeder Vergleich in Europa zeigt: Die alten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse halten sich in Österreich länger als irgendwo anders. Aber der Umbruch hat auch in Österreich begonnen. Die Öffnung zur EU zwingt Österreich, Stück für Stück ein normales europäisches Land zu werden. Der Einfluß der Proporzregierungen geht zurück. Mit dem schleichenden Verlust der politischen Macht haben sich die Lebenszentren des Proporzes in die Wirtschaft verschoben. Seit Jahren wird umgebaut. Rund um Bank Austria und Raiffeisen entstehen die beiden modernen Blöcke der alten Parteien. Nach Medien und Banken sind sie dabei, die Bauwirtschaft untereinander aufzuteilen. In diesem Prozeß stören wir, bewußt und mit dem Vorsatz, einiges zu verändern. Das mag auch der OGH gespürt haben. Der vierte Senat des Obersten Gerichtshofs hat die finanziellen Interessen der Baufirma nicht nur über das Recht auf Meinungsfreiheit gestellt - er hat das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in seinem Erkenntnis nicht einmal erwähnt. Als Abgeordneter bin ich auch gewählt worden, um das zu sagen, was viele nicht sagen können oder wollen. Daher zitiere ich jetzt das Kontrollamt, insbesondere auch zum Baulos „Gasse 9801, Wien 22.": „Die Firmen Asphalt + Beton Bau GesmbH, SBG und Teerag Asdag sollten sich an der Ausschreibung beteiligen, die Firma Teerag Asdag den Auftrag erstehen… Die Untersuchung des Kontrollamts ließ erkennen, daß es sich bei den in Kopien wiedergegebenen Unterlagen … um Aufzeichungen über Bieterabsprachen handelt.“ Ich bleibe dabei: Die Firma Teerag Asdag ist Teil eines geheimen und illegalen Baukartells. Sie war an geheimen Preisabsprachen beteiligt. Es besteht der Verdacht, daß sie ihren Auftraggeber - und Eigentümer - geschädigt hat. Das Höchstgericht hat mir einen Satz verboten. Daher habe ich mich entschlossen, ein Buch zu schreiben.