Czernin

Wolfgang Neugebauer
Peter Schwarz

Der Wille zum aufrechten Gang

Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten

Zunächst war es die eigene Betroffenheit: Nach Fällen wie dem des Psychiaters und ehemaligen NS-Euthanasiearztes Heinrich Gross ist der Bund sozial- demokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und KünstlerInnen (BSA) jahrelang damit in Verbindung gebracht worden, ehemaligen Nationalsozialisten Unterstützung geboten zu haben. Als Folge davon hat eine Historikerkommission unter der Leitung von Wolfgang Neugebauer im Auftrag des BSA dessen Rolle bei der gesellschaftlichen Integration ehemaliger Nationalsozialisten untersucht. Entstanden ist eine umfassende und beeindruckende Dokumentation.

 

Leseprobe:

„Das Verhältnis von SPÖ und BSA zu den ehemaligen Nationalsozialisten spiegelt die allgemeine Nachkriegsgeschichte Österreichs wider. Ausschlaggebend für die Reintegration von NS-Akademikern seitens der SPÖ und des BSA war deren gravierender Mangel an Fach- und Führungskräften, der sich hauptsächlich mit der Vertreibung und Ermordung der sozialdemokratisch-jüdischen Intelligenz in der NS-Zeit erklären lässt. Diese Integrationspolitik fand in den späten vierziger und in den fünfziger Jahren ihren Höhepunkt: Infolge des damaligen Proporzsystems standen SPÖ und BSA vor der Notwendigkeit, entsprechend ihrem politischen Gewicht führende Positionen in der öffentlichen Verwaltung und in der staatsnahen Wirtschaft mit zuverlässigen Fachleuten besetzen zu müssen. […] Vor dem Hintergrund der sukzessiven Zurücknahme und Abschwächung der Entnazifizierungsmaßnahmen und dem gleichzeitigen Buhlen von ÖVP und SPÖ um die Wählerstimmen der „Ehemaligen“ versuchten beide Großparteien, ehemalige NS-Akademiker in ihre Reihen zu integrieren.“