Czernin

Maria Czedik-Eysenberg

Ein Geburtstag mehr

1974. Christine ist mit sich und der Welt zufrieden. Es ist ihr 46. Geburtstag. Sie ist die Frau eines erfolgreichen Anwalts und Mutter zweier Kinder.

Doch dann kommt die Krise. Der Sohn geht zum Studium an die Sorbonne und die Tochter entdeckt plötzlich ihre große Liebe zu einem Afrikaner. Christines fest gefügtes Weltbild scheint in sich zusammenzubrechen. Christine fragt sich das erste Mal, was sich unter den glatten Manieren, unter der Fassade abspielt. Was geht in diesen Menschen, die für sie immer das waren, was sie nach außen schienen, eigentlich vor? Sie findet keine Antwort.

 

Leseprobe:

Im Grunde genommen fasste sie es nicht, dass heute ihr sechsundvierzigster Geburtstag war. Konnte es möglich sein, dass sie im Jahr 1927 geboren wurde? Sie hatte das Gefühl, eigentlich noch sehr jung zu sein, sie kam sich immer noch wie zwanzig vor, nur sichtlich wussten es die anderen Menschen nicht. War sie wirklich schon zweiundzwanzig Jahre verheiratet? Die Kinder waren doch gestern noch klein und hilfsbedürftig. Jetzt waren sie keine Kinder mehr, und schon gar nicht hilfsbedürftig. Andrea ging zwar in die siebente Klasse, aber auch sie hätte sich energisch gewehrt, als Kind bezeichnet zu werden. Der einundzwanzigjährige Michael war bereits auf der Universität, und betrachtete sich als junger Mann von Welt. Wie konnte die Zeit so rasch vergehen? Sie war doch gerade noch jung verheiratet gewesen. Unfassbar!
Den zwanzigjährigen Hochzeitstag hatten sie entsprechend gefeiert. Walter hatte sie und die Kinder, einmal ohne Familienfest, zu einem noblen Abendessen eingeladen. Die beiden Männer waren im Smoking, sie und Andrea mit langen Röcken. Christine konnte sich mit ihrer Familie sehen lassen, und der Maître d’Hôtel hatte sie auch entsprechend begrüßt und zu ihrem Tisch geführt. Sie war sich sehr gut vorgekommen, sie fand sich elegant und attraktiv, ihr Mann und ihre Kinder waren es auch.