Czernin

Traudl Schmidt
Oliver Lehmann

In den Fängen des Dr. Gross

Das misshandelte Leben des Friedrich Zawrel

„Während der Verhandlung am 25. Mai 1976 wiederholt Dr. Gross alle Vorwürfe. Er zitiert aus dem Illing-Gutachten von 1944. Er zerrt eine unbewiesene, völlig absurde Anschuldigung aus der NS-Zeit an die Öffentlichkeit in ein Strafverfahren, mit dem meine Geschwister überhaupt nichts zu tun haben. Ich verstehe vieles nicht, ich bin total weg. Ich denke mir nur die ganze Zeit: „Nur nichts sagen, keine Debatte, damit die Geschwister nicht auch noch reingezogen werden.“ Friedrich Zawrel

Der 11-jährige Friedrich, aus ärmsten Verhältnissen stammend, begegnet Gross erstmals 1940 auf dem Spiegelgrund, einer Abteilung des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien, wo zwischen 1940 und 1945 vorgeblich oder tatsächlich geistig bzw. körperlich behinderte Kinder zu experimentellen Zwecken gehalten und schließlich viele von ihnen von Ärzten und Schwestern ermordet werden. In den Nachkriegsjahren gerät Zawrel auf die schiefe Bahn, Gross steigt nach einem milden Gerichtsverfahren zu höchsten Weihen auf. Die SPÖ schützt den Gutachter, als Zawrel 1975 seinen Fall publik macht - er schreibt SPÖ-Justizminister Christian Broda, der reagiert nicht. Stattdessen taucht ein anderer psychiatrischer Gutachter auf.

 

Leseprobe:

26. November 1975. Der Schlüssel fährt in das Schloss, die Tür öffnet sich. Der Justizbeamte sagt: „Zawrel, vorführen.“ Ich trete aus der Zelle und gehe den langen Gang an den Nachbarzellen vorbei in Richtung Halbgesperre. Dort wird kontrolliert. Durch die Dachfenster fallen Sonnenstrahlen, die im Maschendraht rautenförmig Schatten werfen.
„Bitte, wohin werde ich gebracht?
„Zur Psychiatrierung.“
„Zu wem?“
„Zum Dr. Gross“