Czernin

Ernst-Christian Gerhold
Ralf A. Höfer
Matthias Opis

Konfession und Ökumene

Die christlichen Kirchen in der Steiermark im 20. Jahrhundert

„Konfession und Ökumene“ – ist das nicht ein Irrtum? Jahrhunderte lang haben einander die Konfessionskirchen bekämpft, sich des Unglaubens bezichtigt und ihre eigene Identität in Glaubenswahrheiten verabsolutiert. Das eigene Bekenntnis wurde zur Waffe gegen andere Christen, Ökumene als Miteinander stand auf verlorenem Posten.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts – des „Jahrhunderts der Extreme“ (Eric Hobsbawm) – änderte sich diese Ausgangslage grundlegend. Die Stürme zweier Weltkriege, die fortschreitende Erosion christlicher Lebenswelten und Existenzordnungen, der Bedeutungsverlust ethischer Werte, die Konkurrenz und Bedrohung durch politische Ideologien und andere Religionen – dies alles hat die christlichen Kirchen zusammenrücken lassen und ihren Blick für das Gemeinsame geschärft. Vor diesem Hintergrund kam die ökumenische Bewegung in Gang und nahm einen spannenden Verlauf. Mit Beiträgen der Herausgeber sowie von Johannes B. Bauer, Magnus Hofmüller / Erich Linhardt, Heimo Kaindl, Grigorios Larentzakis, Maximilian Liebmann, Christoph Petau, Rudolf Rappel, Ursula Hamachers-Zuba / Reinhard Zuba u. a.

 

Leseprobe:

Auszug aus dem Beitrag von Johannes B. Bauer DAS SELBSTVERSTÄNDNIS DES ANDEREN ACHTEN ÜBER UNTERSCHIEDE REDEN Carl Amery stellt fest, dass „das in den Kirchen verfaßte Christentum seit eineinhalb Jahrtausenden sich selbst als Hort eines Glaubensbesitzes und den Begriff ‚Glauben‘ als Festhalten am bestimmten dogmatischen Wahrheiten definiert“ hat. Die Situation ist im Kampf der Konfessionen noch verschärft worden: „Die vermeintliche Notwendigkeit, die Unterscheidung vom Gegner über alle Gesichtspunkte zu stellen, hatte zur Heraufkunft einer engbrüstigen Mittelmäßigkeit geführt, die über das jeweils ‚Abweichlerische‘ zu Gericht saß; und welcher kreative Geist ist nicht abweichlerisch? Nicht mehr der kraftvollste, sondern der genaueste Glaube zählte, nicht mehr die Liebe, oder die Solidarität, sondern der Stallgeruch; nicht mehr die Hoffnung, sondern das ängstliche Festhalten an den festgelegten Kriterien". Ich stelle ein paar Thesen auf: 1. Die Kirche aller Christen ist unzerstörbar und untrennbar. 2. Lange Entfaltungen und Entwicklungen in einzelnen Kirchengemeinschaften haben ihre gottgewollte Sinnhaftigkeit. 3. Die zu benennenden Differenzen, zum guten Teil römischer Tradition verhaftet, sind von heutigen selbst katholischen Theologen im Grund entschärft. Zuletzt eine Forderung. Trennungen haben schon in der Gemeinde von Korinth begonnen, wenn Gruppen von Christen sich in ausschließlicher Weise auf ihren Täufer, ihren Verkündiger festgelegt haben: „Ich halte zu Paulus, ich zu Apollos, ich zu Petrus, ich zu Christus“. Paulus schreibt ihnen dazu und mahnt sie „eines Sinnes zu bleiben, denn der lebendige Leib Christi kann nicht zerstückelt werden!“ Luther: „Ist Christus nun zertrennet?“ (1 Kor 1,12f). These 1: Das ist die Maxime des Paulus. Diese Parteiungen sind anfangs sicher davon ausgegangen, daß die, die sich Paulus angeschlossen haben, beseelt waren von dem legitimen Anliegen, daß vor allem die Freiheit der Gnade offen sei auch für die Heiden. Die, die sich Apollos zugehörig fühlten, hatten anfänglich wie Apollos die besondere Gabe, ihren Glauben zu „denken“ und auch den Intellektuellen zugänglich zu machen, ein unbestreitbares Charisma. Denen, die sich auf Petrus berufen hatten, scheint vor allem die Kontinuität der Kirche mit dem geschichtlichen Jesus am Herzen gelegen zu sein. Aber was anfangs Charismen sind und Element der Einheit, ist auf Grund der menschlichen Schwäche bald zum Vorwand der Spaltung geworden. Damit zeigt sich klar, was es heute wieder herzustellen gilt: die Einheit in der Verschiedenheit. Nicht die Verschiedenheit als solche an sich ist das Übel. Ich darf das mit einer theologischen Erwägung erhärten: These 2: Am Schluß des apokryphen Nikodemus-Evangeliums argumentierten die Schriftgelehrten über Jesus vor dem Volk: „Wenn diese Lehre von Gott gekommen ist, so gilt Jer 10,11: ‚Die Götter, die weder Himmel noch Erde erschaffen haben, werden vergehen!‘ Wenn man also nach 50 Jahren noch an Jesus denkt, wird er ewig herrschen und sich ein neues Volk schaffen". Damit ist aufgenommen, was Lukas (Apg 5,38) den Pharisäer Gamaliel sagen läßt: „Wenn dieses Vorhaben, dieses Werk, von Menschen ist, wird es zerstört werden, stammt es aber von Gott, so könnt ihr es nicht zugrunde richten“! Mit anderen Worten drückt das Rabbi Jochanan, der Sandalenmacher (um 140) aus: „Eine Versammlung, die um Gottes willen stattfindet, wird Bestand haben aber; eine, die nicht um Gottes willen stattfindet, wird nicht Bestand haben“. Das nennen wir die Maxime des Gamaliel. Weshalb zitiere ich diese Sätze? Weil sie uns ein Grundgesetz biblischen Heilsdenkens bewußt machen: Jene großen Kirchengemeinschaften, die sich vor Jahrhunderten von einander abgesetzt haben im Streit um die bessere, tiefere Wahrheit, haben ihren Bestand von Gott. Im Grund bilden sie die eine Kirche, den einen lebendigen Leib Christi, von dem Paulus 1 Kor 1,13 sagt, daß er gar nicht geteilt werden kann (vgl. These 1). Hans Lietzmann, evangelischer Neutestamentler von Weltruf, hat den paulinischen Satz gegen die Spalter so umschrieben: „Bildet ihr euch ein, Christus, dessen Leib die Gemeinde ist (1 Kor 12,27), in Teile reißen zu können?“ An dieser grundsätzlichen Unzerreißbarkeit hat die Tradition von Anfang an festgehalten: Christi populus non potest scindi, schreibt Cyprian, Bischof von Karthago (+258’), „weil das Volk Christi nicht zerrissen werden kann, deswegen war sein Rock ohne Naht, von oben an als ein Ganzes gewoben. Deshalb sagten die Soldaten zueinander: Lasst uns ihn nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll (Joh 19,23).“ Die Kirchen haben also ihre providentielle Aufgabe auch und besonders in ihrer geschichtlich gewonnenen Eigenheit; die spezifische Färbung einer jeden Kirche in Lehre und Leben ist für die eine, die wahre Catholica, die Kirche aller Christen, unverzichtbar. Auf diese Erkenntnis hin gehen sogar die Sätze aus dem Ökumenismusdekret: „Alles was der Heilige Geist in den Herzen der getrennten Brüder gewirkt hat, dient zu ihrer gegenseitigen Erbauung, dient dem tieferen Erfassen des Glaubensgeheimnisses. Die verschiedenen Denkweisen auf der einen oder auf der anderen Seite führen einmal die einen, einmal die anderen zu einer adäquateren Einsicht in das Offenbarungsmysterium. Die verschiedenen theologischen Formulierungen haben eher die Funktion der gegenseitigen Ergänzung als die des Gegensatzes.“ Dementsprechend setzt sich, wenn ich recht sehe, heute immer mehr die Erkenntnis durch, daß keine Kirche ihre Geschichte einem unitarisch, unifikatorisch aufgefaßten Ökumenismus zum Opfer zu bringen braucht. Im Gegenteil, die anzustrebende Einheit wird eine Einheit in Mannigfaltigkeit und gegenseitiger Achtung sein. Das Bild, das ich gerne gebrauche, ist dieses: die verschiedenen religiösen Orden finden sich in der sonst sehr uniformen Römisch-Katholischen Kirche völlig eingegliedert, obwohl sie ja sehr verschiedene Ausprägungen christlicher Lebenspraxis und oft auch christlicher Theologie zeigen. Darüber hinaus aber sind diese Orden in ihrer Regierung unabhängig von der Kirche am Ort, sie sind, wie das Kirchenrecht sagt, exempt, haben ihre eigene zentrale Leitung. Ähnlich wie die Orden in der Römischen Kirche könnten die Kirchen der Ökumene in eine umfassendere Einheit treten, ohne ihre kirchenrechtliche, kultische, theologische Eigenständigkeit aufzugeben. Also: die Maxime des Gamaliel müßte in ihrer Tragweite erkannt werden. Kirchen, die jahrhundertelang Bestand haben, sind Gottes Werk, providentiell in ihrem Bestand gesichert. Und ebenso müßte die Maxime des Paulus von der Unzerstörbarkeit der wahren und wesentlichen Einheit der Kirche ernst genommen werden. Wir haben Konvergenzerklärungen genug. Wir haben erlebt, daß der gegenseitige Kirchenbann zwischen Ost- und Westkirche zurückgenommen wurde. Wir wissen aus neueren Publikationen, daß auch die gegenseitigen Verurteilungen aus der Reformationszeit heute nicht mehr zutreffen. Im übrigen hat selbst ein Papst (Pius XII. in Humani generis) den Rückgriff auf die Bibel und die älteste Überlieferung verlangt „weil“, so der Papst wörtlich, „die exzessive spekulative Dogmatik erfahrungsgemäß (!) steril wird". Von dieser Sterilität sind die traditionellen konfessionellen Dogmatiken vielfach betroffen. Ich komme zu These 3 - den Differenzen: Manche festgefahrene Positionen der Kirchen müßten also aufgeweicht oder aufgegeben werden. So sträubt man sich auf römisch-katholischer wie auf orthodoxer Seite beharrlich gegen das Verlangen nach Interkommunion seitens der evangelischen Kirchen. Diese rigorose Ablehnung der Interkommunion beruht auf einer überholten Ansicht über die Weitergabe des kirchlichen Amtes allein durch eine Kette von Handauflegungen seit den Zeiten der Apostel. Alle Amtsträger christlicher Kirchen, die nicht in dieser geradezu magisch verstandenen Amtsübergabekette stehen, haben nach dieser traditionellen römischen Auffassung nicht das richtige, gültige Amt. Und weil sie dieses nicht haben, können sie folgerichtig auch nicht gültig die Eucharistie feiern. Leider ist diese alte Lehrmeinung fast unausrottbar. Umso mehr freut es einen, wenn man in einem Aufsatz des Vorsitzenden der deutschen katholischen Bischofskonferenz folgendes liest: „Die klassische katholische Position ist in dieser Frage durch die gegenreformatorische Zeit hindurch bei uns selbst verzerrt worden. Man meinte, die apostolische Sukzession sei das unmittelbare Eingesetztwerden in das bischöfliche und priesterliche Amt allein durch eine ununterbrochene Kette von Handauflegungen. Es ist gar keine Frage, daß die eigentliche Weitergabe des Amtes durch das Gebet der Kirche (unter Handauflegung) im Geist erfolgt und nicht automatisch durch eine innerweltliche Kausalkette. Kein vernünftiger Katholik würde auch an der Legitimität konkreter apostolischer Nachfolge zweifeln, wenn etwa zwei oder drei Glieder nicht unmittelbar historisch nachweisbar wären.“ Bischof Lehmann war lange Zeit Dogmatikprofessor und weiß also, wovon er spricht. Ich habe seinen Aussagen nichts hinzuzufügen, als den Wunsch, daß sie sich im katholischen Raum durchsetzen. Damit müsste dann auch die immer wieder vorgebrachte Feststellung fallen: Es müsste zuerst die volle lehrmäßige Einheit hergestellt sein, dann erst könnte man Abendmahlgemeinschaft haben. Das gegenwärtige Theologumenon der Stellung des Papsttums hat selbst ein Papst vor nicht allzulanger Zeit als das größte Hindernis der Ökumene bezeichnet. Das war Paul VI. Dazu zitiere ich wieder die Lehrmeinung eines gewiß unverdächtigen ehemaligen Dogmatik- professors, späteren Bischofs von Rottenburg, nun Leiter des Sekretariats für die Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper: Er gibt ohne weiteres zu, daß „Primat und Unfehlbarkeit des Papstes aus der Schrift und der frühen Tradition mit den Mitteln heutiger historisch-kritischer Methode nicht direkt abgeleitet werden“ können. Es dürfte sehr erhellend sein, wenn wir uns das mit der historisch-kritischen Methode gewonnene Bild näher anschauen: Bis um die Mitte des 2. Jh. muss man warten, dass sich in Rom überhaupt „die monepiskopale Kirchenverfassung durchgesetzt hat. Sowohl der 1. Klemensbrief als auch der Römerbrief des Ignatios von Antiochien legen hierfür indirekt Zeugnis ab, insofern beide Dokumente offensichtlich noch mit der ‘Fraktionierung’ (P. Lampe) der römischen Christengemeinde rechnen, was aber keineswegs zu der irrigen Annahme verführen sollte, diese Gemeinde habe keinerlei Einheit gebildet. Das Gegenteil ist richtig: schon Paulus schreibt an diese Gemeinde als ganze und rechnet damit, daß sein Schreiben von einer christlichen Hausgemeinschaft zur anderen weitergereicht wird, was das Bewußtsein der Gemeinschaft und Einheit bei diesen Kleingruppen voraussetzt. Die einzelnen Gruppen unterstehen jeweils einem eigenen Leiter, welche alle zusammen wahrscheinlich ein Leitungsgremium der stadtrömischen Christengemeinschaft bilden Wer immer in den Vordergrund des Leitungsgremiums treten wollte, gewann das nötige Profil als Wortführer der Gemeinde nach außen. Insofern dem paterfamilias nach römischem Recht ein praktisch unbegrenztes Verfügungsrecht über seinen Haushalt zukam, dürfte sich zwangsläufig ergeben haben, wer zur Mitgliedschaft im Leitungsgremium gelangte; es liegt wenigstens nahe, daß mit der Zeit dann zunächst eine bestimmte Führungspersönlichkeit in einer solchen Gruppe mehr als die anderen in den Vordergrund trat, was wahrscheinlich zunächst in der betreffenden Person selbst, in ihrem Charakter, ihrem Vermögen und ihrer Bildung mitsamt der daraus entspringenden natürlichen Autorität begründet lag; dies führte dann wahrscheinlich wie selbstverständlich zum Hervortreten eines primus inter pares innerhalb dieses Leitungsteams und schließlich in Angleichung an die Entwicklung in Syrien und Kleinasien, woher sich ja ein Großteil der römischen Gemeindemitglieder rekrutiert haben dürfte, zur Ausbildung des Monepiskopats.“ Soweit der Innsbrucker Kirchenhistoriker Bernhard Kriegbaum SJ; und der berühmte Herausgeber des Reallexikons für Antike und Christentum, Theodor Klauser schliesst seine Untersuchung über die römische Bischofsliste mit der Feststellung: „Ziel der Liste … war die Sicherung der Apostolizität der in Rom vorgetragenen christlichen Lehre. Zu diesem Zweck wurden die Männer genannt, die Glieder einer bis zu den Aposteln zurückreichenden, lückenlosen Kette von Übermittlern und Garanten der apostolischen Lehre gewesen waren. Wer jeweils als Erbe, Vermittler und Garant dieser Lehre anzusehen war, tat sich in der übereinstimmenden Überzeugung der Gemeinde kund. … Nach etwa 140 wurden alle für die Gemeinde entscheidenden Funktionen - Leitung, Liturgie, Lehre, Schlüsselgewalt, Seelsorge - nur einem und demselben Mann zugesprochen; damit war der monarchische Bischof an die Stelle des bisherigen Kollegiums getreten. Die Liste der Tradenten und Gewährsmänner des apostolischen Lehrguts fiel von nun an mit der Liste der Bischöfe zusammen.“ Hieronymus hat also recht mit der Feststellung in seinem Titus-Kommentar: „Presbyter und episcopus ist einunddasselbe. Ehe auf Anstiftung des Teufels der religiöse Streit entstand und man sagte: Ich gehöre zu Paulus, ich zu Apollo, ich zu Kephas, wurden die Kirchen durch einen gemeinsamen Presbyterrat geleitet.“ Erst nach solchen Streitigkeiten wurde einer aus den Presbytern gewählt, um über den anderen zu stehen. Im übrigen ist bezeichnend, dass erst im 3. Jh. ein römischer Bischof sich auf Mt 16,18 „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ berufen hat. Was den Jurisdiktionsprimat betrifft, weiß man längst, daß die Päpste bis zum 12. Jahrhundert etwa mit Bischofsernennungen nichts zu tun hatten. Bischofswahlen erfolgten auf mehr oder weniger breiter Grundlage, durch Priester und Volk oder wenigstens Domkapitel. Deshalb hat Melanchthon durchaus recht, wenn er jenen Primat bestreitet: „denn wie konnte es möglich sein, dass ein Bischof sollte alle Kirchen der ganzen Christenheit versorgen, oder dass die Kirchen, so fern von Rom gelegen, allein von einem alle ihre Kirchendiener konnten ordinieren lassen?“ Das Ausufern kirchenrechtlicher Festlegungen hat immer wieder zu kontraproduktiven Entwicklungen geführt. Nicht ohne Witz hat der frühere Vorsitzende der deutschen Arbeitsgemeinschaft der katholischen Neutestamentler, Josef Schmid, einmal gesagt: „Das Kirchenrecht ist der Stacheldraht rund um das Neue Testament herum". Heute haben die römischen Kongregationen, soetwas wie Ministerien, sicher viel zu viel Macht zu Eingriffen in die eigentlichen Rechte der Ortsbischöfe. Freilich, - Gott seis geklagt -, nicht selten haben Bischöfe selbst Rom angerufen, wenn sie Streit hatten. Und damit haben sie die Macht dieser römischen Stellen aufgebaut. Ein einziges Beispiel dafür. Zwei deutsche Bischöfe können sich nicht auf ein bestimmtes Firmalter einigen und deswegen kommt es im Bereich der Diözesangrenzen zum Unmut der Gläubigen. Einer von ihnen ruft nun die Sakramentenkongregation in Rom an, um eine Entscheidung dieser „brennenden“ Frage zu erhalten; er fährt schließlich nach Rom, aber noch ist überhaupt nichts entschieden, weil das in deutscher Sprache abgefaßte Schreiben erst ans Staatssekretariat geschickt worden ist, um es ins Latein zu übersetzen. Dort lag es, und der Bischof war Antwort heischend da; worauf man eilends das Elaborat an die Anima, die deutsche Nationalkirche in Rom, übermittelte, mit der Bitte um möglichst schnelle Übersetzung. Der Sekretär der Anima, Freund Kostelezky, las mir den umständlich langen deutschen Text vor und ich schrieb meine lateinische Übersetzung in die Maschine. So konnte der Bischof endlich seine erwartete Antwort erhalten. Ich weiß nicht mehr, wie sie ausgefallen ist; es ist ja schon Jahrzehnte her. Aber nach diesem Vorgang haben sich die Bischöfe seit eh und je erst zu Bittstellern und dann zu Erfüllungsgehilfen römischer Bürokratie gemacht. Die Stellung der Bischöfe dem Papst und seinem Hof gegenüber müßte einmal durchgreifend erneuert werden. Cyprian, Bischof von Karthago (+ 258) hält in seinem Buch über die Einheit der Kirche klar fest, daß alle Bischöfe zu ungeteilter Hand am einen Bischofsamt teilhaben, der römische Bischof natürlich nicht anders: Episcopatus unus est, cuius a singulis in solidum pars tenetur (de ecclesiae unitate 5). Es handelt sich um den Kollegiatsgrundsatz: Ein Amt wird als eine Einheit aufgefasst, die von mehreren Amtsträgern verwaltet wird und zwar so, dass jeder von ihnen allein den gesamten Inhalt der Amtsgewalt ausüben kann. Zustimmung des oder der Kollegen ist nicht erforderlich. In diesem Sinn erging 418 eine Weisung des Konzils von Karthago, das jede Appellation nach Rom verbot. Kleriker im Streit mit ihrem Bischof sollten sich zunächst an ihre Nachbarbischöfe, dann an ein afrikanisches Konzil oder an einen der Primas-Bischöfe wenden. „Wer aber glaubt“, so heißt es wörtlich, „an eine Instanz jenseits des Meeres appellieren zu müssen, soll innerhalb Afrikas von niemand zur kirchlichen Gemeinschaft zugelassen werden". Schärfer kann man sich wirklich nicht mehr ausdrücken, um die selbständige Autorität der großen territorialen Kirchenprovinzen festzuhalten. Hier ist daran zu erinnern, daß eine Zentralisierung der Kirchenleitung schon früh eingesetzt hatte. Justinian nannte die Patriarchate dem Rang nach: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem. In der Folge entstanden weitere Patriarchate oder mit einem anderen Namen bei manchen Kirchen „Katholikate". Heute wird vernünftigerweise die Schaffung neuer Patriarchate wenigstens in den nichteuropäischen Erdteilen vorgeschlagen, und zumindest diese sollten aus der westlichen Patriarchatsstruktur entlassen werden. „Welches theologische Argument hindert eigentlich diesen vielleicht lohnenden Versuch?“ fragt der katholische Dogmatiker Otto Hermann Pesch. Anschließen müßte sich daran auch eine kirchenrechtliche Neupositionierung der Rechte der Patriarchen, von denen einer jeweils auf Zeit als Sprecher aller gewählt werden könnte. Der gegenwärtige Papst hat immerhin mehrmals zu einem Überdenken der Strukturen des Papstamtes ohne Angst aufgerufen.