Czernin

Reinhard Engel

Luxus aus Wien

Handgemachtes von heute aus der einstigen Kaiserstadt

Cartier, Gucci, Hermés - die großen europäischen Luxusmarken sind mittlerweile global bekannt, ob auf der New Yorker Fifth Avenue oder in den exklusiven Flughafenboutiquen von Dubai und Singapur. Wenige wissen aber, dass auch Wien einmal ein bedeutendes Zentrum der Produktion luxuriöser Stoffe, Kleider und Accessoires war.

Die wichtigsten Unternehmer, die heute noch in Wien Maß nehmen, entwerfen und erzeugen (lassen), kommen in Einzelportraits zu Wort. So wird der Bildband zu einem kulturhistorischen, aber auch praktischen Begleiter für jene, die sich an schönen Dingen erfreuen, aber auch wissen wollen, wessen Hände für deren Zustandekommen verantwortlich sind.

 

Leseprobe:

Vorwort. Der Zauber dieser Stadt ist ungebrochen. Wer – als ansonsten selbstverständlicher Stadtbenutzer – Gäste aus dem Ausland durch die City führt, sieht die Straßen, die Häuser und Paläste nicht nur mit eigenen, nur zu oft durch Gewöhnung getrübten Augen an. Die Reaktionen der Besucher können einen nicht kalt lassen. Ungläubiges Staunen erlebt man da – über die Schönheit, über die Ordnung und wohl auch über das Museale. Und nicht selten spürt man die zuweilen fast schon erschreckende magische Anziehungskraft, die Wien vor allem und gerade auf die hierorts eher ungeliebten ärmeren Nachbarn ausübt, ja selbst auf jene, deren Vorfahren hier einst nicht nur schlecht behandelt, sondern gewaltsam vertrieben worden sind. Rational erklären kann man die Sache wohl nicht. Denn wie bei einem lebendigen Organismus, den man kaum zweimal als den gleichen antrifft – sind doch in kürzester Zeit viele seiner Zellen abgestorben oder haben sich neu gebildet –, so tritt auch in einer Stadt dem Besucher stets etwas gänzlich anderes gegenüber. Die geographische Lage, der allgemeine Grundriss, manche Gebäude – sie mögen überdauern doch im Rahmen dieser Koordinaten füllt sich das Leben ständig neu – und das selbst in einem urbanen Milieu, das so konservativ-hochmütig, zäh-starrsinnig und modernisierungsfeindlich scheint wie Wien. Und tatsächlich hat es ja auch hier so manche dramatische Umbrüche gegeben, die den Bewohnern oft genug gehörige Angst eingejagt haben. Nicht nur die jahrhundertelange Bedrohung durch die Türken, die zweimal beinahe zum Untergang der Stadt geführt hätte, ist damit gemeint – nein, auch Schaufel und Spitzhacke sollten immer wieder den Wienerinnen und Wienern ihre geliebte Ruhe rauben. Mehrmals ist die Stadt eine einzige Großbaustelle gewesen: nach dem zweiten Sieg über die Osmanen, als die barocken Kirchen und Palais emporwuchsen, und dann beim endgültigen Abriss der Befestigungen und dem Bau der Ringstraße. Man verdiente zwar an diesen Großprojekten mit, aber insgesamt blieben die Wiener fortschrittsskeptisch. Das nostalgische Publikum raufte sich um Bodenbretter des abgerissenen alten Hoftheaters, um sie als Souvenir mit nach Hause zu nehmen, und Karl Kraus kommentierte den Abbruch des Künstlercafés Griensteidl mit der Befürchtung, Wien werde „jetzt zur Großstadt demoliert". Die gesellschaftlichen Umwälzungen hinter all der baulichen Umgestaltung waren freilich noch einschneidender. Wien hatte sich lange gegen die aus dem Westen herandrängende Industrialisierung gewehrt, doch schließlich war sie dann doch mit aller Kraft über die Stadt hereingebrochen. Ungezählte Unternehmensgründungen, der Aufstieg eines immer selbstbewussteren – christlichen und jüdischen – Bürgertums, gewaltige Kapitalakkumulationen in den Banken und an der Börse, die Zuwanderung von Hunderttausenden aus allen Teilen der Monarchie – das ließ Wien im 19. Jahrhundert förmlich explodieren, in einer Mischung gewissermaßen aus zugleich roher ökonomischer Kraft und feinem künstlerischen Talent. In der Rückschau, wo man naturgemäß eine andere und oft auch weitere Perspektive hat, erscheint diese Gründerzeit und die blühende Kultur des Fin-de-Sciècle als kurze Episode. Nur zu bald zerrissen die zentrifugalen Kräfte das Habsburgerreich – hatte doch die Politik keine Mittel gegen die Nationalismen aller Seiten gefunden. Was folgte, war eine furchtbare Spirale nach unten: Hyperinflation und Verarmung des österreichischen Kleinstaates, Rassenwahn, Nationalsozialismus und Krieg, schließlich eine triste Wiederaufbauzeit, die nur allmählich in das viel besungene Wirtschaftswunder und zuletzt in die europäische Integration führte. Ein Besucher Wiens, der in diese Stadt heute nach, sagen wir, fünfundzwanzig Jahren Abwesenheit wieder zurückkehrt, wird vieles kaum wiedererkennen. Nicht, dass brutal mehrspurige Autobahnen durch die City geschlagen worden wären, wie das etwa die Prager Kommunalpolitiker seinerzeit widerstandslos durchsetzen konnten. Nein, im Gegenteil, Wohlstand und sanfter gesetzlicher Druck hat die Hausherren dazu bewogen, die oftmals deprimierenden, dunkelgrauen Gründerzeitfassaden wieder auf Glanz zu bringen. Aber der dramatische Umbruch im Handel hat zugleich sämtliche Geschäftsleute überrollt – und damit das Bild der Innenstadt wohl ebenso unwiderruflich verändert wie schon seit vielen Jahrzehnten nicht. Wer heute über den Kohlmarkt spaziert, sieht, einer Perlenkette gleich, ein internationales Luxusgeschäft an das andere gereiht: Cartier, Chanel, Gucci, Louis Vuitton, Valentino. Um die Ecke, am Graben, fügen sich Mont Blanc und Hermes an, nicht weit davon schließen Prada, Emenegildo Zegna, Missoni, Gianfranco Ferré und Guerlain auf. Das mag nicht ungewöhnlich sein in einer wohlhabenden europäischen Millionenstadt mit beträchtlicher Wertschöpfung. Aber es unterscheidet Wien nicht wesentlich von Düsseldorf, Turin und Genf, ja man könnte sagen, dass man einen Großteil dieser Waren ebenso auf den Flughafenboutiquen Arabiens und Südostasiens erhält. Dabei war in Wien einst eine hoch entwickelte Luxusindustrie angesiedelt und verfügte über handwerkliche Spezialisten für Leder, Gold und Samt – Hof, Kirche und Bürgertum eines riesigen Reiches waren schließlich gute Kunden. Die Seidenindustrie des frühen 19. Jahrhunderts etwa beschäftigte mehr als 20 Prozent der Wiener Arbeiter, und die Hoflieferanten der Kaiserstadt arbeiteten auch für die Oberschichten anderer Regionen des Reiches: Kaschmirschals, Lederhandschuhe, Hüte, Stoffe und Taschen wurden weit exportiert – in die Levante und nach Nordeuropa, in die beiden Amerikas und nach Australien. Der Untergang der Donaumonarchie hat den ersten großen Einbruch für alle diese Branchen gebracht. Nicht nur dass der Hof verschwunden war, auch große Teile des Adels und des Bürgertums sahen sich sozial abgerutscht und fielen als Kunden aus. Zollschranken hatten den einst riesigen Binnenmarkt fragmentiert, Wiens Rolle als administratives und ökonomisches Zentrum war dahin. Die Wirtschaftskrise der 30er-Jahre forderte bald zusätzlich ihren Tribut, die Insolvenzen in den Luxusbranchen erfolgten Schlag auf Schlag. Und dann vertrieben und ermordeten die Nationalsozialisten die Wiener Juden, die auf beiden Seiten des Luxustresens eine entscheidende Rolle gespielt hatten: als wohlhabende Industrielle, Ärzte und Wissenschaftler auf der Nachfrageseite, als Schneider und Konfektionäre, als Schuhmacher und Taschner, als Designer und Moderedakteure auf jener der Anbieter. Der Vernichtungsschlag der völkischen Herrenmenschen war in diesen Branchen ebenso nachhaltig wie in der Wissenschaft oder in der Kunst. Doch in engen Nischen haben die hoch qualifizierten Handwerker überlebt, einige wenige Vertriebene sind nach dem Krieg zurückgekehrt, Zuwanderer und Flüchtlinge vor den kommunistischen Regimes in Osteuropa haben manche Lücke gefüllt. Zwar hatten die Konfektion und die industrielle Fertigung mittlerweile einen umfassenden Sieg davongetragen, aber eine kleine, wiewohl ökonomisch weitgehend bedeutungslose bürgerliche Oberschicht hielt an den alten Traditionen des Handgemachten fest und ermöglichte es den wenigen Spitzenbetrieben in ihren Werkstätten zu überwintern – bis die nächsten wohlhabenden Kunden nachgewachsen waren. „Die Art, wie der Maßanzug sitzt, lässt auf eine, wie man so sagt, starke Individualität schließen“, so erinnert sich die Schriftstellerin Dorothea Zeemann an ihr erstes Treffen mit ihrem Kollegen und späteren Gefährten Heimito von Doderer als einem typischen Vertreter jenes traditionsbewussten Bürgertums. „Ich bin offenen Auges bei vollem Bewusstsein in den falschen verliebt: In zwei Hände, breite Schultern, Füße, die in uralten, aber sündteuren ungarischen Maßschuhen stecken (…) Ich sehe nur die Schuhe, handgearbeitet von Nagy.“ Das Unternehmen von Nagy hat unter dem Namen Materna bis heute überlebt. Der Herrenausstatter Knize am Graben, dessen Vorfahren einst für den Kaiser gearbeitet hatten, kleidet auch dieser Tage Manager aus Deutschland und Italien ein. Bei Wilhelm Jungmann & Neffe, wo früher die Damen des Hofes ihre Ballkleider und Frau Anna Sacher ihre Nachmittagstoilette gekauft haben, lassen sich jetzt Wiener Anwaltkonzipienten von einem angereisten slowakischen Schneider ihr erstes – relativ günstiges – Maßsakko fertigen. Dieses Buch versucht, einen Überblick über die heutigen Wiener Anbieter luxuriöser Handarbeit zu geben. Dem interessierten Kunden soll damit eine Art erster Fahrplan geboten werden – entscheiden muss sich dann freilich, wie das bei einer heiklen Angelegenheit wie individuell Gefertigtem selbstverständlich ist, jeder und jede selbst. Wie ja auch der Umfang dieses Bandes eine vollzählige Auflistung der Geschäfte und Ateliers nicht zulässt. Dem kulturhistorisch Interessierten soll ein erster Einstieg in die Materie gegeben und Lust auf weitere eigene Entdeckungen gemacht werden – in den Wiener Straßen und Gassen, in den Regalen der Buchhändler und Bibliotheken, in den Branchenverzeichnissen und Telefonbüchern. Zugleich möchte mit diesem Buch all dem kreativen und professionell-handwerklichen Potential, das in dieser Stadt für die Herstellung dieser Waren eingesetzt wurde und wird, die Reverenz erwiesen sein. Es soll aber auch vor jener Hybris – einer nicht unwienerischen Eigenschaft – warnen, die sich selbst, und wenn auch nur in retrospektiver Verklärung, zum Nabel der Welt hochstilisiert und im Zentrum des Universums wähnt. „Wien-Badgastein-Karlsbad“ – so wurde einst selbstbewusst auf den Schildern der eleganten Innenstadtgeschäfte der damalige Horizont umrissen. Und damit ist auch schon die begrenzte überregionale Bedeutung Wiens umfasst – vor allem gegenüber dem stets dominierenden Paris. Denn das ist einer der Schlüsse, den die Wiener Modeexperten stets gezogen haben: Große Trends und schicke Designs sind nur allzu oft aus Frankreich hierher gekommen. Und die Meister und Gesellen an der Donau haben sich durch sorgfältige Handwerkskunst ausgezeichnet, relativ bescheiden, wenn auch stolz darauf, der Figur des Kunden und dem hochwertigen Material gerecht zu werden – eher langlebig denn kurzatmig, mehr gediegen ruhig als aufgeregt schrill. Aber das ist ja auch schon etwas in einer hechelnden, grellen Welt voll schriller Markenartikel, wo Marketing-Hype und Höchstpreise für saisonalen Trash längst ihre Territorien erobert haben. Denn hier kann sich der Bogen schließen vom ästhetischen Bereich zu einem weiteren, auch politischen Feld: Die feinsinnigen Konsumenten teurer Güter entscheiden sich zugleich für Langlebigkeit, für Ressourcenschonung und für sozial verträgliche Produktionsmethoden – nicht als romantischer Ausstieg aus der Industriegesellschaft, sondern als kleine Geste gegen globale Verirrungen. Man kann sich eben auch elegant störrisch geben.