Czernin

Günter Wels

Maitage

Ein städtisches Freibad in den 70er-Jahren, ein Sommer an der Côte d’ Azur, ein katholisches Mädcheninternat in Österreich, die letzten Kriegstage im Mai 1945 – die Schauplätze in Günter Wels’ Debüt sind denkbar unterschiedlich. Seine Protagonisten jedoch haben eines gemeinsam: Sie sind auf dem Weg, erwachsen zu werden.

„Er fühlte sich unangreifbar in diesem Sommer“, schreibt der Erzähler über einen seiner jugendlichen Helden. „Hat keinen Sinn, sich das alles zu geben“, lässt er einen anderen feststellen. Eindringlich und mit – teils tragischem – Witz beschreibt Günter Wels die Facetten des Erwachsenwerdens. Es ist der schmale Grat zwischen Scheitern und Hoffnung, auf dem seine Protagonistinnen und Protagonisten durch Kindheit und Jugend stolpern. Entstanden ist eine Sammlung von Coming-of-Age-Geschichten, die zwischen authentisch entworfenen Alltagsszenerien und einem wachgerufenen kollektiven Gedächtnis Raum für das eigene Erinnern lassen.

 

Leseprobe:

Hartmut nahm einen Löffel Suppe, lustlos, dann noch einen. Jetzt füllte das Rasseln der Raupenketten draußen auf dem Kopfsteinpflaster das ganze Esszimmer aus, fast hätte man meinen können, die Panzer rollten geradewegs durch die 140-Quadratmeter-Wohnung. Auf dem Platz draußen waren vereinzelte Schreie und Bravorufe zu hören, eine Männerstimme brüllte etwas wie »Welcome to the Americans«. Jetzt hielt es Hartmut nicht länger auf seinem Platz. Mit einem Satz war er am Fenster. Über den Hauptplatz – vor ein paar Jahren in Adolf-Hitler-Platz umbenannt – marschierten hundert, vielleicht hundertzwanzig Soldaten in olivgrünen Uniformen, flankiert von Jeeps und einigen langsam übers Kopfsteinpflaster rumpelnden Sherman-Panzern. Er zog die Gardine zur Seite, machte das Fenster auf, beugte sich hinaus, um besser zu sehen. Die Marschordnung der Amerikaner verblüffte ihn. Ein bisschen nachlässig, fast lümmelhaft latschten die Invasoren über den Hauptplatz.