Czernin

Edith Meinhart
Ulla Schmidt

Spin Doktoren

Die hohe Schule der politischen Manipulation

Spin Doktoren: Ein Begriff, der aus den USA wie ein gefährlicher Virus eingescheppt worden ist, erlebt einen publizistischen Overkill. Doch das, was er bezeichnet - die Dinge ins „richtige“ Licht zu rücken, der Berichtersattung einen Dreh zu geben, also: zu spinnen -, ist ein aktueller und für viele geheimnisvoller denn je. Wer manipuliert die Wähler? Wer die Medien? Und wer die Politik? Ist etwa die in Österreich vielerorts vermutete Macht der Krone am Ende nur ein Mythos? All diesen Fragen gehen die Journalistinnen Edith Meinhart und Ulla Schmid nach und zeigen, wer hinter den Kulissen der Politik und in den Wahlkämpfen die Fäden zieht.

Die Journalistinnen Edith Meinhart und Ulla Schmid haben das Phänomen des Spin Doctors untersucht und präsentieren eine packende und hintergründige Schilderung moderner Politik mit Antworten auf Fragen, die über Österreich hinaus von Interesse sind: Was passiert hinter den Kulissen von Parteien? Wie werden politische Themen gesetzt? Wie werden Kandidaten inszeniert? Wie werden diese in den Medien verkauft? Welche Instrumente kommen dabei zum Einsatz? Welche Rolle spielen Werbeagenturen, Meinungsumfragen oder focus groups?

 

Leseprobe:

Das Spuk währte nur kurz: Anfang Februar 2000 räumte mit SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas ausgerechnet jener Mann von der politischen Bühne, der den Begriff spin doctor nach Österreich importiert - und durch seine übereifrige Inszenierung innerhalb kurzer Zeit auch gleich wieder in Mißkredit gebracht hatte. War es das schon? Der war room, die Wahlkampfzentrale nach US-Vorbild, die spin doctors, die großen Manipulatoren der Macht und der Medien - alles nur eine flüchtige Modeerscheinung, eine vernachlässigbare Episode der österreichischen Politikgeschichte? Es ist paradox. Der US-Begriff hat einen publizistischen Overkill erlebt. Doch das, was er bezeichnet, ist aktueller denn je. Der in Amerika abgeschaute Wahlkampf-Stil wird nach einhelliger Experten-Meinung künftig sogar an Bedeutung gewinnen - und zwar aus professionellen Notwendigkeiten. Daran wird der auch der Wechsel vom „überinszenierten“ SPÖ-Chef Viktor Klima zum ideologisch gefestigten Alfred Gusenbauer nichts ändern. Der Nationalratswahlkampf 1999 war der modernste, ja amerikanisierte Wahlkampf aller Zeiten. Nicht, daß das Rad neu erfunden worden wäre. Viele Instrumente des modernen politischen Marketing - von der Meinungsforschung bis zur mediengerechten Inszenierung des Kandidaten - die im Super-Wahljahr zum Einsatz kamen, waren nicht wirklich neu. Schon Karl Blecha verstand es Ende der 60er Jahre, Umfragen für seine politische Arbeit zu nützen. Doch die Konzepte und Strategien wurden im Laufe der Jahre perfektioniert, verfeinert und den Erfordernissen unserer schnellebigen Zeit angepaßt. Wer heute beim Wähler mit seinen Botschaften durchdringen will, muss die Gesetzmäßigkeiten des Informationszeitalters kennen, muss Ebbe und Flut der Nachrichtenzyklen verstehen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Strategen der politischen Macht – in Amerika ebenso wie in Österreich - heute vor allem eines sind: exzellente Kenner der modernen Medienwelt. Schwer zu sagen, wer dabei die Getriebenen sind: die Politiker oder die Medien. Tatsache ist, dass Politik ohne Medien - insbesondere das Fernsehen - undenkbar geworden ist. Im Februar 2000, als der Prototyp der heimischen Spindoktoren, Andreas Rudas - nicht ganz zufällig ein ehemaliger ORF-Spitzenmanager - seinen Abschied nahm, präsentierten Wolfgang Schüssel und FPÖ-Chef Jörg Haider ihr Regierungsprogramm vor den Kameras einer kritischen Weltöffentlichkeit. Da war strategisches Kommunikationsmanagement gefragter denn je. Die Dynamisierung der Berichterstattung hatte den Spielraum für die Spindoktoren empfindlich eingeschränkt. Spätestens nach der Angelobung des neuen Kabinetts war es mit der provinziellen Beschaulichkeit der heimischen Pressekonferenzen vorbei. Wolfgang Schüssels Presseberater hatten alle Hände voll zu tun, den internationalen Medienansturm zu bewältigen - sprich: die „Dinge ins richtige Licht zu rücken“, der Berichterstattung einen positiven Dreh zu geben. Also: zu spinnen. In den USA, wo es seit Jahren einen florierenden Markt für political marketing gibt, gehört es zum Geschäft der Politik-Berater, nicht nur ihre Kandidaten, sondern auch sich selbst in Szene zu setzen. Anders in Österreich, wo die Berater der Mächtigen es vorziehen, im Hintergrund zu bleiben. Was hinter den Kulissen der heimischen Politik passiert, wie Themen gesetzt, Kandidaten inszeniert und in den Medien verkauft werden, welche Instrumente dabeizum Einsatz kommen, welche Rolle Werbeagenturen, Meinungsumfragen oder focus groups spielen, war oft nur in Hintergrund-Gesprächen zu erfahren. Impressionen nach der Wahl: Über Gewinner und Verlierer Der Rahmen - der modern renovierte und dennoch historisch eindrucksvolle Redoutensaal der Wiener Hofburg - ist pompös, die Dekoration staatstragend: Im Scheinwerferlicht ein blumengeschmücktes Podest mit zwei Pulten aus Plexiglas, dahinter eine überdimensionale Plakatwand, die mit Europa-Sternen, den österreichischen Nationalfarben und kraftvollen Slogans gestaltet ist. Doch im Detail entbehrt die Inszenierung nicht einer gewissen Pikanterie: Über Schüssel steht zu lesen „Verantwortung für Österreich“, über Haider prangt der Slogan „Zukunft im Herzen Europas". Vor diesem Hintergrund präsentierten die neuen Koalitionspartner, ÖVP- Obmann Wolfgang Schüssel und FPÖ-Chef Jörg Haider, am 3. Februar 2000 sich und ihr Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre. Sie präsentierten es so, daß die Zuseher meinen konnten, hier steht das frisch angelobte Regierungsteam und nun könne - nach monatelangen Koalitionsverhandlungen - endlich wieder politische Normalität einkehren. Daß zu diesem Zeitpunkt vor den Toren der Hofburg Demonstranten lautstark „Wi-der-stand“ skandierten, daß europäische Politiker angedroht hatten, dem Land den Rücken zu kehren, daß der Bundespräsident noch nicht einmal ansatzweise erkennen hatte lassen, daß er dem schwarz- blauen Duo einen Regierungsauftrag erteilen wolle - davon redeten die beiden nicht. Sie sprachen von einem „greifbaren Stück Zukunft“ namens Arbeitsübereinkommen, referierten über Selbstbehalte, Familienpolitik und Budget-Erfordernisse, und versprachen eine „inhaltliche Erneuerung durch Freiheit und Dynamik". Die Journalisten-Fragen hingegen bezogen sich eher auf die drohende internationale Isolation Österreichs. Doch diese wurden von Wolfgang Schüssel mit dem seit Tagen wiederkehrenden Satz beantwortet, das Ausland möge die „neue Regierung“ an ihrenTaten messen. Daß sich die ausländische Kritik nicht am Regierungsprogramm, sondern an der Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen und deren ideologischem Unterbau entzündet hatte, schob Schüssel hartnäckig beiseite. Daß die kommende schwarz-blaue Regierung eine Präambel zum Regierungsübereinkommen unterzeichnen werde, wonach sie Verfassung, Grundrechte und die Europa-Verträge achten würde - Selbstverständlichkeiten, wie man meinen sollte - stellte der ehemalige Außenminister als Zusatzdienst an der Republik dar: „Ich muß das nicht machen, ich will es - das ist ein wesentlicher Unterschied.“ Die message für den Zuseher der im ORF live übertragenene Pressekonferenz war klar: Laßt uns nur machen, wir werdens schon richten. Vier Monate nach den Nationalratswahlen ist Österreich in eine tiefgreifende innenpolitische und seine wahrscheinlich schwerste außenpolitische Krise seit 1945 geschlittert. Doch jener Mann, der den Wählern noch vor der Wahl „absolute Verlässlichkeit“ versprochen hatte, daß er „mit Ihrer Stimme, so ich sie kriege, sehr behutsam umgehen“ werde, eroberte für seine Partei als nur drittstärkste Kraft im Land nach 30 Jahren das Kanzleramt zurück. Nun steht Wolfgang Schüssel als Sieger da, der es seit Monaten in Wort und Gestik geschafft hat, alle Unwägbarkeiten zu umschiffen und die Vorwürfe, die auf ihn niederprasselten, wortreich und dennoch ausweichend zu parieren. Er habe die Koalitionsgespräche mit der SPÖ nicht abgebrochen, er habe keine andere Möglichkeit mehr gehabt, er habe die Wucht der europäischen Sanktionen nicht erahnen können. Es sei „erstaunlich, wie weit es so ein angekündigter Oppositionschef bringen kann“, wunderte sich der Kurier. Doch rückblickend kann fast von einer folgerichtigen Entwicklung gesprochen werden - und die war wesentlich von der ÖVP bestimmt worden. Wenn man die Monate zwischen Oktober 1999 und Februar 2000 wie bei einem Video-Film im fast-rewind-modus zurücklaufen lässt, kommt man zu jenem Anfangsbild, das die heutige politische Konstellation bereits in den wesentlichen Grundzügen widerspiegelt. Spulen wir also zurück: Am Abend des 3. Oktober 1999 steht ein keck und selbstsicher in die Runde blickender Wolfgang Schüssel im Innenministerium und wartet auf die Verkündung des vorläufigen Endergebnisses der Nationalratswahlen 1999. Neben ihm steht FPÖ-Obmann Jörg Haider und spreizt die Finger der linken Hand zum Victory-Zeichen, und wie auf Kommando drücken die Fotografen ab. Das Bild, das tags darauf die Tageszeitungen ziert, zeigt aber nicht nur diese beiden Spitzenpolitiker. Es zeigt auch die FP-Getreuen im Hintergrund, deren Mimik nicht ganz dem fröhlichen Gestus ihres Häuptlings entspricht, es zeigt Viktor Klima, der sich gerade noch ein gequältes Lächeln abringen kann, und es zeigt den grünen Front-Mann Alexander van der Bellen, der dreinschaut, als hätte es ihn aus dem Parlament katapultiert und nicht nur die ebenfalls anwesende Liberalen-Obfrau Heide Schmidt. Was ist aus diesem Gruppenbild herauszulesen? Die Tageszeitungen waren sich am nächsten Tag weitgehend einig. So schrieb Günther Nenning in der Kronen- Zeitung: „Es gibt zwei Gewinner: Haider, weil er soviel dazu gewonnen hat, und Schüssel, weil er - entgegen Prognosen - nicht abgerutscht ist. Es gibt zwei Verlierer: Klima, der ein Ergebnis einfuhr, weit unter dem eh schon schlechten Ergebnis 1995. Und Heide Schmidt, die aus dem Parlament flog.“ Andreas Unterberger äußerte sich am 4. Oktober in der Presse anerkennend über den ÖVP- Kandidaten: „Wolfgang Schüssel hat gepokert. Er hat gewonnen. […] Er hat zum zweitenmal die vor ihm ein Jahrzehnt lang anhaltende Erosion seiner Partei stoppen können.“ Hans Rauscher vermerkte im Standard, die „Volkspartei hat jetzt die Chance, erstmals seit 30 Jahren wieder den Kanzler zu stellen“, und Gerfried Sperl ebendort: „Die SPÖ muss sich die Frage stellen, ob die momentane Parteispitze fit genug für die Zukunft (und für Österreich) ist. Die Überraschung der Wahl ist sicherlich die ÖVP.“ Diese Einschätzungen deckten sich - streng genommen - nicht ganz mit jenen Ergebnissen, die die ZiB 1 am Wahlsonntag, Punkt 19.30 Uhr, den Österreichern mitgeteilt hatte: Die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP rutschen bei der Nationalratswahl auf einen historischen Tiefstand ab, die Freiheitlichen liegen erstmals knapp, aber doch vor der Volkspartei auf Platz zwei, die Grünen legen beachtlich zu, die Liberalen scheitern an der Vier-Prozent-Hürde. In einer Mediengesellschaft zählen aber nicht nur die objektiven Fakten. Bildberichte, die allgemeine Stimmung im Land, die aktuelle Themenlage, die Interpretation von Beratern und die Stellungnahmen von Politikern geben den Ereignissen immer einen eigenen Drall, einen spin eben, der sich mitunter kaum mehr mit den Tatsachen deckt