Czernin

Erika Rosenkranz

Und ich fand es herrlich

Erinnerungen einer Vertriebenen

„Wahre Aufzeichnungen über diese unaussprechliche Zeit und das Überleben ohne Hass, ohne Finanzen, aber mit viel Sympathie und Ehrgeiz, ab und zu von jenem beißenden Humor getragen, der mir immer wieder half.“

Elf Jahre ist Erika Roth alt, als ihre Familie 1938 aus Wien vertrieben wird: Dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland folgt die Emigration über Italien nach Südfrankreich. Mit Hilfe ihrer Jugend, ihrer Offenheit und ihrem Engagement gelang es ihr, einen Platz in der neuen Umgebung zu finden. Nach dem Schulbesuch und einer Berufsausbildung flüchtete sie 1942 in die Schweiz und kam ins Arbeitslager in Brissago (Tessin). Illegal kehrte sie nach Südfrankreich zurück. 1948 folgte die „freiwillige“ Emigration nach Israel. Infolge privater Ereignisse und schwerer Krankheit kehrte Erika 1952 mit ihrem dreijährigen Sohn nach Wien zurück, blieb – zunächst ungern – und heiratete 1956 Kurt Rosenkranz. Drei Jahre später wurde ihre Tochter geboren. Die Sehnsucht nach dem Meer blieb … „In Wien geboren, in Nizza zu Hause“ – so resümiert Erika Rosenkranz gegen Ende ihrer Erinnerungen, die sie unermüdlich in Beziehung zueinander stellt, verwebt und deutet.

 

Leseprobe:

Bis zu diesem Moment war auf unserer Flucht alles wie durch ein Wunder gut gegangen. Niemand hatte nach unseren Papieren gefragt einfache, gute Menschen, die Leben retten wollten und nicht an ihren Vorteil dachten, boten ihre Hilfe an. Ein Anruf von den wohlhabenden und frommen Aschers aber genügte, um von der Fremdenpolizei in ein Internierungslager gesteckt zu werden. Zum Glück wurden wir nicht zurück an die Grenze gebracht. Wir kamen wieder nach Martiny und wurden aufgeteilt: Papa nach Büsserach bei Basel und Mutti und ich in das Auffanglager in Bex nahe den Aschers. In dieser Situation war es allerdings unmöglich für uns geworden, an Opapas Kapital heranzukommen, das uns ein freies Leben während der Kriegsjahre in der Schweiz ermöglicht hätte. Später wurde uns das Motiv für Herrn Aschers Anruf bei der Polizei klar: Für jeden Inhaftierten erhielt man damals eine Entschädigung. Wir waren unter militärischer Bewachung und besaßen nur das eine Recht: zu leben. Damals erschien uns das sehr wenig. Heute wissen wir von dem Entsetzlichen, das sich um uns herum abspielte und wir wissen, dass zu leben das Wichtigste war. All die Unannehmlichkeiten, mit denen wir zu kämpfen hatten, sind im Rückblick Lappalien. Nach einigen Monaten, es war Januar 1943, wurde meine Mutter in das Arbeitslager in Brissago im Tessin versetzt. Mein Vater befand sich mittlerweile im Arbeitslager Hedingen bei Zürich, ich kam in ein Heim der Jugend-Alija (Alija bedeutet Einwanderung nach Israel) bei Genf. Somit waren wir in den drei Teilen der Schweiz verstreut. Ich hatte Glück, denn meine Großmutter väterlicherseits lebte in Genf, gemeinsam mit meiner Tante Margit, die hochschwanger in die Schweiz geflüchtet war. Sie blieben – dank reiner Menschlichkeit und ohne Beziehungen oder Geld. Natürlich lebten sie sehr, sehr arm. Unser Leben in den Schweizer Arbeitslagern war paradiesisch verglichen mit jenem in den Arbeitslagern der Deutschen, Polen oder Österreicher. Wir Flüchtlinge erhielten sogar eine Entlohnung von sechzig Rappen pro Tag und alle sechs Wochen die Erlaubnis zu einem Familienurlaub von drei Tagen inklusive bezahlter Bahnfahrt zu den nächsten Verwandten. Unsere besondere Sorge galt der Familie: Wir wollten einander unter keinen Umständen aus den Augen verlieren. So nahmen wir jedes Mal, wenn es uns gestattet war, weite Wege auf uns, um uns zu treffen. Mutti und Papa fehlten mir entsetzlich. Das Leben war hart und unerbittlich, doch trotz allem bescherte es mir Liebe und Nestwärme. Die Schweiz glich damals einer Mausefalle, die jederzeit zuschnappen konnte. Meine Eltern versuchten mit Eingaben zu bewirken, dass wir zusammen in ein Lager kamen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir dies alles in Traurigkeit ertrugen. Wenn wir miteinander waren, war es immer hell. Und wir durften nicht klagen, denn uns war die Flucht geglückt. Nicht so meiner Tante Edith und ihrem Mann Moritz, nicht Onkel Poldi, Tante Blanka und deren Sohn Carl, den ich nach dem Krieg meinen Bruder nannte.