Czernin

Reinhard Urbach

Von Jandl weg auf Jandl zu

47 Begegnungen und Überlegungen

Dichter können die Welt nicht verändern. Sehr wohl aber die Literatur. Nach Ernst Jandl geht in der Lyrik vieles anders, vieles mehr.

Seit es ihn gibt, können Gedichte – mehr als bisher – Laute an die Stelle von Buchstaben setzen, Bilder an die Stelle von Worten, Zeichen an die Stelle von Sätzen. Weil es ihn gibt, ist die Literatur offener geworden, hin zum raffinierten Verschränken, zum blöden Staunen, zum kreatürlich Obszönen, zum Zerfetzten und Verletzten, zum Äquilibristischen der Worte, zum legasthenischen Verwechseln, zum pathetisch Pathologischen. Sein Umgang mit Lyrik hat Erfahrungsbereiche vergrößert, Erlebnisse verdichtet, Wirklichkeiten verschoben. Seit 2001 finden in Neuberg an der Mürz Ernst Jandl-Lyrik-Tage statt. Dichter seiner und unserer Generation lesen dort. Sie alle wurden aufgefordert, zu jeweils einem Jandl-Gedicht eine Variation, Paraphrase, Metamorphose, Reflexion zu schreiben oder zu zeichnen. Hier sind sie.
Mit Beiträgen von u. a. Friedrich Achleitner, Urs Allemann, Franz Josef Czernin, Michael Donhauser, Oswald Egger, Elfriede Gerstl, Anselm Glück, Felix Philipp Ingold, Paul Jandl, Thomas Kling, Friederike Mayröcker, Herta Müller, Kurt Neumann, Klaus Reichert, Ferdinand Schmatz, Julian Schutting, Peter Waterhouse, Paul Wühr.

 

Leseprobe:

die klage ist eine lache
und eine träne
oder sie ist eine quelle
oder eine ströme
aber eine lache ist sie immer
nämlich wenn sie jemand tränt

die klage ist eine luge
und eine ware
oder sie ist eine lere
oder eine larve
aber eine ware ist sie immer
nämlich wenn sie jemand kauft

die klage ist eine glüe
und eine asche
kurz eine üe und ae
eine harpüe hüane
und immer ist sie eine asche
eine füle nämlich kül und wüst

die klage ist keine beginne
und keine ende
ohne sie ist eine kreise
ohne eine wimmel
ohne beginne aber ist sie immer
nämlich wenn sie niemand endet

usw.

Steffen Popp